Ostthüringer Zeitung (Schleiz)
Die große Kommunalfusion
Die Gemeinde Nobitz will sich durch die Gebietsreform vergrößern. Das Kabinett berät demnächst die ersten Gemeindezusammenschlüsse
Ilmenau/Nobitz. Er ist der letzte seiner Art. Ein Oberbürgermeister von der vormals allmächtigen CDU, seit 1990 an der Spitze der Stadt: So einen gibt es außer ihm in Thüringen nicht mehr. Nächstes Jahr ist aber auch für GerdMichael Seeber Schluss. Jenseits der 65 darf er nicht noch einmal zur Wahl in seinem Ilmenau antreten – und er will es auch gar nicht mehr. Dann, sagt er, müssten mal andere ran.
Doch bevor es soweit ist, kann Seeber wohl noch das erleben, was er aus lokaler Sicht als „kleine Revolution“bezeichnet. Die stolzen Städtchen Gehren und Langewiesen wollen sich Ilmenau anschließen, genauso wie ein halbes Dutzend Dörfer. Ilmenau hätte statt 26 000 plötzlich 37 000 Einwohner und wäre somit endgültig das unumstrittene regionale Zentrum diesseits des Rennsteigs.
Der Fusionsantrag der beteiligten Städte und Gemeinden ist einer von 19, die derzeit im Innenministerium geprüft werden. Alles spricht dafür, dass er Teil des ersten Neugliederungsgesetzes dieser Wahlperiode wird, das vor der Sommerpause vom Kabinett beraten werden soll. Wahrscheinlich, heißt es aus der Landesregierung sei es Ende Juni soweit. So oder so wird nach mehreren Verschiebungen auch der zuletzt intern gesetzte Termin am 6. Juni nicht gehalten.
Die Liste der beantragten Zusammenschlüsse reicht vom Altenburger Land, wo sich Nobitz mit Frohnsdorf, Jückelberg, Langenleuba-Niederhain und Ziegelheim vereinigen möchte bis zum Weimarer Land, wo sich Kromsdorf, Leutenthal und Rohrbach in die Gemeinde Ilmtal-Weinstraße integrieren lassen wollen (siehe Tabelle).
Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) möchte dies als großen Erfolg feiern. Mit den 19 Fusionsanträgen hätten 70 Gemeinden „ihren Willen für neue Strukturen bekundet“, lässt er mitteilen. „Diese 70 Gemeinden bedeuten zugleich 275 509 Einwohner, deren Vertreter sich zum Erhalt ihres Lebensumfeldes für ein zukunftsfähiges Thüringen ausgesprochen haben“.
Man muss dies einordnen. Schon in vergangenen Wahlperioden gab es jede Menge freiwilliger Fusionen; die Zahl der Gemeinden sank von mehr als 1000 auf etwa 850. Auch damals wurden sie mit Millionenprämien gelockt.
Trotzdem ist diesmal vieles anders. So sind die Einheitsgemeinden und Eingemeindungen, die jetzt vorbereitet werden, der praktische Beginn des umstrittensten Vorhabens dieser Koalition, das bislang bloß in der Theorie der Paragrafen existiert: der Gemeinde- und Kreis- gebietsreform. Nebenbei wurde die Mindestgröße der Gemeinden auf 6000 Einwohner verdoppelt, wobei die überwiegend trübe Bevölkerungsprognose für 2035 gilt. Und: Den Orten, die sich bis Herbst nicht freiwillig finden, soll es wie den Kreisen und den kreisfreien Städten Suhl und Eisenach ergehen. Sie werden zwangsfusioniert.
Dabei ist die Entwicklung auf Gemeindeebene besonders dramatisch. Während sich die Anzahl der 23 Landkreise und kreisfreien Städte nur ungefähr halbieren soll, könnte es 2019 nur noch zwischen 100 und 200 selbstständige Gemeinden geben – je nachdem, wie eng die gesetzlichen Vorgaben interpretiert werden.
Das alles macht diese erste, recht überschaubare Charge der freiwilligen Fusionen zum Politikum. Die Koalitionsfraktionen drängen seit Langem den Innenminister, endlich das zugehörige Gesetz vorzulegen, damit es wie geplant zum Beginn nächsten Jahres in Kraft treten kann. Der große Rest der Kommunen soll dann zu Beginn des Jahres 2019 zusammengeschlossen werden – ob sie sich dann selbst zusammen gefunden haben oder nicht.
Und: Wer gezwungen werden muss, bekommt nichts von den 155 Millionen Euro plus X, mit denen der Fusionsschmerz versüßt werden soll.
Doch warum haben sich in der Freiwilligkeitsphase, die immerhin schon fast ein Jahr läuft, nicht noch mehr Kommunen gemeldet? Darauf gibt es etliche Antworten. Erstens hofften die mehr als 600 Gemeinden, die sich in Verwaltungsgemeinschaften (VG) organisiert haben, lange auf ein besseres Angebot als ihre Auflösung in irgendeiner Stadt, Einheits- und Landgemeinde. Doch die Überlegungen in der Koalition, ihnen eine Zukunft in Verbandsgemeinden anzubieten, die ihnen noch eine gewisse formale Auto- nomie gewährt hätten, führten zu nichts – außer Verwirrung.
Zweitens schaffte es die Ministerialbürokratie mit Poppenhäger an der Spitze, viele gutwillige Bürgermeister zu irritieren, in dem sie geradezu sklavisch an den eigenen Vorgaben klebte. So hielten die Beamten anfangs nicht einmal ein Viertel der eingereichten Anträge mit dem Vorschaltgesetz vereinbar. Dass jetzt die Regierung Gera und Weimar die Kreisfreiheit zusichert, obwohl dies dem Sinn des Gesetzes widerspricht, verstärkt in den Gemeinden das Gefühl der Ungleichbehandlung. Und drittens setzen etliche Kommunarden darauf, dass die ganze Reform scheitert. Immerhin: Die Koalition wackelt gerade bedenklich, das Verfassungs- gericht verhandelt über ein gutes Dutzend Klagen und das Volksbegehren, das vor allem aus dem Protest der VG-Gemeinden basiert, ist längst noch nicht tot. Die Versuchung, bis zum Fristende am 31. Oktober zu warten, ist daher für die Räte groß.
Den Ilmenauer Oberbürgermeister ficht das wenig an. Er versteht die Aufregung zwar zum Teil, aber: „Wer sagt, der alles so bleiben kann, der hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt.“In einer Phase, in der die Zuschüsse mit den Einwohnerzahlen sinken, biete die Gebietsreform mehr Entwicklungschancen als Risiken.
Mit dieser Haltung ist Seeber erst recht zum Solitär geworden. Der einzige Oberbürgermeister, den die CDU nach dem Abschied des Nordhäusers Klaus Zeh noch hat, gehört zu den lautesten Befürwortern des gefährdeten rot-rot-grünen Prestigeprojekts. Er hat sogar einen von SPD-Bürgermeistern initiierten Brief unterschrieben, der die Landesregierung unterstützt.
Es ist der letzte große Kampf des gelernten Glasapparatebläsers und studierten Ingenieurs, den die Wende mit 40 an die Spitze seiner Heimatstadt katapultierte. Damals machte das große Glaswerk zu und später auch die Porzellanfabrik. Die Neubaugebiete entleerten sich.
Als dann Ilmenau bei der Gebietsreform 1994 noch das Landratsamt verlor, wirkte sogar Seeber zuweilen mutlos. Was, klagte es, sollte nur aus Ilmenau werden?
„Man muss eben dazulernen können“, sagt der Oberbürgermeister heute. Mit dem damals geschaffenen Status der Großen kreisangehörigen Stadt habe man etliche Aufgaben und Behörden behalten dürfen. Der Rest sei vernünftige Stadtpolitik gewesen.
Tatsächlich geht es Ilmenau ziemlich gut. Die Stadt ist komplett durchsaniert, genauso wie die Eishalle und das Freibad. Die Arbeitslosenquote sinkt und sinkt.
Dennoch ist Ilmenau nicht überall. Es gibt Sonderfaktoren. Die kleine Technische Hochschule, die es 1990 gab, wuchs zur Universität. Die Studentenzahl vervielfachte sich, das Land investierte Abermillionen in den Campus. Dazu schloss die Autobahn 71 Ilmenau an das europäische Verkehrsnetz an. Auch die Bahn fährt immerhin noch in Richtung Erfurt.
Was also ist mit Städten wie Apolda, in der nicht 6000 Studenten leben? Und was ist mit Greiz, an dem nicht direkt eine Autobahn vorbei führt, mit der man in einer halben Stunde in der Landeshauptstadt ist? Wie sollen sie ohne eine Kreisverwaltung, die oft der größte Arbeitgeber ist, zurecht kommen? Ja, natürlich, sagt Seeber, verursachten Strukturveränderungen immer Schmerzen. „Aber Jammern hat noch keinem geholfen.“
Der Minister beschwört den großen Erfolg Der Oberbürgermeister und die Zeichen der Zeit