Ostthüringer Zeitung (Saalfeld)
„Verantwortung nicht ausweichen“
SPD-Ministerpräsident Weil über Große Koalitionen und handlungsfähige Regierungen
Arbeitsprogramm für die nächsten Monate verständigen. Was sind wichtige, unaufschiebbare Aufgaben? Wie sind sie zu lösen? Die drei Parteien tragen die amtierende Regierung, sie haben im Bundestag eine Mehrheit. Sie müssen das Land handlungsfähig halten, bis wir eine neue Bundesregierung haben.
Das wäre eine Art Vor-Koalition?
Nein, das wäre ein solides Arbeitsprogramm für die nächsten Monate. Das würde uns Zeit verschaffen für Gespräche zwischen Union und SPD und zeigen, dass es kein Vakuum gibt. Wir sind ja nicht in einer Staatskrise, nur in einer Regierungsbildungskrise. Eine solche Absprache wäre auch ein wichtiges Signal an europäische Nachbarn. Eine instabile Bundesrepublik ist für Europa Gift.
In welcher Weise sollen Union und SPD zusammenarbeiten? Es sind mehrere Formen denkbar. Natürlich muss auch über die Große Koalition gesprochen werden. Aber man sollte ebenso ernsthaft Alternativen wie eine Minderheitsregierung prüfen. Eine Neuwahl wäre die schlechteste Option.
Sie sind Ministerpräsident einer Großen Koalition. Können Sie die empfehlen? Es gibt einen großen Unterschied zum Bund: Die SPD in Niedersachsen hat einen klaren Wählerauftrag, aber auch die CDU hat hier Rückhalt in der Bevölkerung. Im Bund gab es am 24. September die klare Ansage an die SPD: Ihr habt keinen Regierungsauftrag, erneuert euch in der Opposition. Jetzt gibt es eine neue Situation. Ohne die SPD kommt keine handlungsfähige Bundesregierung zustande. Wir müssen uns fragen, ob wir nur auf uns selbst schauen dürfen. Die SPD hat sich immer auch für das große Ganze verantwortlich gefühlt. Was ist ihre Empfehlung?
Die SPD darf der Verantwortung nicht ausweichen. Das muss nicht in einer Großen Koalition enden. Aber: Wir tragen eine Mitverantwortung dafür, dass in Deutschland wichtige neue politische Weichenstellungen getroffen werden, die das Land zukunftsfähig machen und der sozialen Spaltung entgegenwirken. Ich hoffe, dass viele SPD-Mitglieder diesem Gedanken folgen können, wenn auch nicht mit Begeisterung.
Wie könnte man der Basis die Skepsis vor einer Großen Koalition nehmen?
Indem man gemeinsam ganz ruhig und unaufgeregt die verschiedenen Optionen bis zum Ende gedanklich durchgeht. Dazu sind zuvor Gespräche mit der Union unerlässlich.
In einer Minderheitsregierung hätte die SPD kein eigenes Personal. Was gewönnen Sie dadurch?
Diejenigen, die eine Minderheitsregierung gut finden, weisen darauf hin, dass wir damit unter Beweis stellen würden, dass wir den Wählerwillen verstanden haben, aber dennoch Mitverantwortung übernehmen. Angeführt wird auch das Argument, dass man so parlamentarische Rituale aufbrechen könnte. Passt das zur Stabilität, die Sie fordern?
Deutschland hat keine Erfahrung mit wechselnden Mehrheiten. Wir wissen nicht, ob das wirklich gelingen könnte und wir stabile Verhältnisse hätten. Übrigens: Beide Parteien haben stark verloren. Ein Weiter so kann es also in keinem Fall geben, auch unabhängig von der Regierungsformation.
Welche inhaltlichen Forderungen haben Sie an die Kooperation mit der Union?
Ich halte nichts davon, jetzt dicke rote Linien zu malen. Das macht die Sache nicht einfacher. Natürlich werden in den Gesprächen die Themen soziale Sicherheit und Zusammenhalt in der Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen. Und gewiss auch eine ausgeprägte Unterstützung der Europäischen Union und ein engagiertes Zusammenwirken mit Frankreich bei den anstehenden Reformen.
Kann der SPD-Parteitag Gespräche mit der Union verhindern?
Ich hoffe nicht, dass der Parteitag Gespräche mit der Union ablehnt. Ich wünschte mir ein Verhandlungsmandat für die Parteispitze. Es kann der SPD nicht egal sein, ob die Regierungsbildung gelingt oder scheitert.