Ostthüringer Zeitung (Saalfeld)
Höherer „Gebrauchswert“für die Menschen
Ein paar Wanderprediger ziehen gerade durch Thüringen. Der CDU-Landesvorsitzende Mike Mohring vornweg. Dahinter ein paar Landräte, Bürgermeister und Chefs von Verwaltungsgemeinschaften, die dafür eigens einen Verein gegründet haben. Ihre Botschaft: bei Verwaltungs- und Gebietsstrukturen kann in Thüringen alles so bleiben, wie es ist, für immer und ewig. Thüringen hat, so behaupten sie, die überhaupt bestmögliche Struktur (vor allem in den Bereichen, in denen sie persönlich tätig sind, soll sich überhaupt nichts ändern).
Haben die Wanderprediger des „Weiter so“Recht? Kann alles so bleiben, wie es ist?
Nein, sie haben natürlich nicht Recht. Veränderungen sind sogar dringend notwendig.
In den letzten Jahren waren in Thüringen jeweils finanzielle Hilfspakete in dreistelliger Millionenhöhe nötig, da die Kommunen ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen konnten. Beweist das bestmögliche Strukturen? Nein, im Gegenteil. Mohring weiß das genau – er hat einige der Hilfspakete im Landtag durchgebracht. Aktuell fordert er sogar wieder solche Hilfspakete. Mohring ist in dieser Debatte unehrlich, er spielt falsch. Andere Beteiligte sind anscheinend unwissend oder weigern sich schlicht, Fakten zur Kenntnis zu nehmen. Beispielsweise die Fakten der Bevölkerungsentwicklung (Demographie).
Die Bevölkerung in Thüringen ist seit 1990 um 455 000 zurückgegangen, das ist ein Verlust von mehr als 17 Prozent. Für die Zeit bis 2035 wird ein weiterer Rückgang um 226 000 Menschen prognostiziert. Das muss doch Auswirkungen auf die Verwaltungsund Gebietsstrukturen haben! Vor allem die Kleinstkommunen sind nicht zukunftsfähig.
Die Folgen haben die Menschen zu tragen, die in den Kommunen leben. In ihrem Interesse muss gehandelt werden, muss die Verwaltungs-, Funktionalund Gebietsreform kommen. In der sachlichen Sprache der Kommunalpolitik geht es um nicht weniger als „die Sicherung der finanziellen Leistungskraft“. Übersetzt heißt das: Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass es auch künftig für die Menschen, für die Familien noch kommunale Bibliotheken, Schwimmbäder und Theater gibt, müssen dafür sorgen, dass die Fahrpreise für Bus und Bahn bezahlbar bleiben.
Besonders emotional geht es zu bei der Frage der Kreisfreiheit. Leider trübt diese Emotionalität den Blick für die Realität. Die Aufhebung der Kreisfreiheit benachteiligt die betroffenen Städte doch gar nicht. Sie haben dann sogar mehr Geld für ihre klassischen städtischen Aufgaben, weil die Kreisaufgaben auf den Landkreis übergehen und von allen Landkreisgemeinden finanziert werden. Beispiel Weimar: Die Stadt hat keine 250 000 Euro für das jährliche Kulturfest, gibt aber jährlich rund acht Millionen Euro für Kreisaufgaben aus.
Nur 20 Kilometer weiter, in Apolda, liegt dafür die gleiche Ämterstruktur nochmals vor. Es kann doch nicht vernünftig sein, teure Kleinstaaterei aufrechtzuerhalten! Im Gegenteil, der Abbau der Doppelstrukturen in einer Region ist im Interesse der Menschen, der Familien und der regionalen Wirtschaft. Gelder werden frei für Investitionen, für Zuschüsse an Vereine, Verbände, an Kultur- und Jugendeinrichtungen.
Die Ängste der Menschen vor der Verwaltungs-, Funktionalund Gebietsreform nehmen wir ernst. Sie fragen, ob mit der Reform etwas von ihrer Identität verloren geht. Identität besteht jedoch in Bezug auf den Wohnort.
Die Siedlungsstruktur wird durch die Reform nicht angetastet, wohl aber die Verwaltungsstruktur. Die wollen wir verändern, um einen höheren „Gebrauchswert“für die Menschen zu schaffen, um Bürokratie abzubauen, um mehr Bürgerfreundlichkeit zu schaffen.
In der teils hitzigen, etwa sechsstündigen Debatte warf Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) der CDU vor, während ihrer langen Regierungszeit ihre Hausaufgaben nicht gemacht zu haben. Das müsse nun nachgeholt werden. Dabei werde jedoch das Dorf auch Dorf bleiben, versicherte er. Ob die Identifikation der Bürger von eigenem Haushaltsrecht und eigenem Bürgermeister abhänge, wolle er gern inhaltlich diskutieren.
Wolfgang Fiedler (CDU) sagte, die Probleme Thüringens mit dem demografischen Wandel seien unstrittig. Dennoch dürfe eine Gebietsreform nicht gegen den Willen der Mehrheit der Bürger „auf Biegen und Brechen“durchgezogen werden. Ein Antrag der CDU, das Vorschaltgesetz von der Tagesordnung zu nehmen, fand keine Mehrheit.
Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) sprach von einer wichtigen Weichenstellung. Er kündigte an, bereits im Herbst einen Vorschlag zum Zuschnitt der künftigen Landkreise vorzulegen.
Ihre Zahl soll in etwa halbiert werden.
„Die Bevölkerung ist seit 1990 um 455 000 zurückgegangen.“ „Es kann doch nicht vernünftig sein, teure Kleinstaaterei aufrechtzuerhalten! “