Ostthüringer Zeitung (Saale-Holzland-Kreis)
Betreuung auf Kante genäht
Eltern, Erzieher und Verbände fordern erneut eine rasche Verbesserung des Personalschlüssels
In Thüringen droht sich ein Szenario zu wiederholen, das das Land schon in den 90er-Jahren erlebt hat: Wegen stark rückläufiger Geburtenzahlen sinkt der Bedarf an Kitaplätzen und damit an pädagogischen Fachkräften, sodass Kindergärten geschlossen und Stellen abgebaut werden. Doch genau das wollen Eltern, Erzieher, Verbände und weitere Verbündete diesmal verhindern. Sie fordern, die Chance, die sich daraus ergibt, zugunsten einer Verbesserung des FachkraftKind-Relation und damit der Qualität der Betreuung zu nutzen. Konkret: Der Landtag soll noch vor der
Sommerpause das Kindergartengesetz anpassen und den Betreuungsschlüssel bei den über Dreijährigen auf 1 zu 12 verbessern.
Passiert das nicht, verlieren womöglich 2024 und 2025 nicht nur 1250 Erzieher ihren Job. Es bliebe auch bei der oftmals auf Kante genähten Betreuung. Denn Fakt ist: Der Krankenstand ist oft so hoch, dass die verbliebenen Erzieher mitunter nur noch die Beaufsichtigung der Kinder absichern können und Kindergärten Öffnungszeiten kürzen. Doch für ein Bundesland wie Thüringen, in dem viele Mütter berufstätig und auf zuverlässige Betreuung angewiesen sind, ist das ein Unding. Deshalb mahnt auch der Verband der Wirtschaft Thüringens eine Anpassung des Gesetzes an.
Ein Stellenabbau hätte wohl aber auch die Abwanderung gut ausgebildeter Fachkräfte in Bundesländer zur Folge, die Erzieher suchen. „Die Gefahr, dass wir sie verlieren, ist relativ hoch“, sagte DRK-Kitaexpertin Astrid Exel bei einer Informationsveranstaltung. „Rund um Thüringen
gibt es einen riesigen Bedarf, und den Erziehern wird dort viel geboten.“Würden zudem gerade junge Fachkräfte gehen, verlöre Thüringen auch noch potenzielle neue Familien. Das Land müsse deshalb allen Erziehern eine Perspektive geben. Ziel müsse es sein, die Betreuungsqualität zu verbessern und zugleich Fachkräften faire Arbeitsbedingungen zu bieten. Zu bedenken sei dabei, dass der Frauenanteil gerade in der Altersgruppe der 25- bis 40-jährigen Pädagogen hoch sei und viele dieser Erzieher Nachwuchs hätten, sodass sie häufiger krankheitsbedingt ausfielen.
Auch Barbara Lochner, Pädagogik-Professorin an der Fachhochschule
Erfurt, berichtete davon, „dass Vertreter anderer Bundesländer hellhörig werden, ob es in Thüringen nicht Fachkräfte abzugreifen gibt“. 94 Prozent der Erzieher hätten hierzulande eine pädagogische Ausbildung, der Bundesdurchschnitt liege bei 72 Prozent. Würde Thüringen den Betreuungsschlüssel auf 1 zu 12 verbessern, „würden wir auf das Niveau von Brandenburg oder Hessen aufschließen“. Denn in den vergangenen Jahren hätten viele Bundesländer Boden gutgemacht, während Thüringen ins Mittelfeld absank. Für den 6. Mai hat die Allianz für einen besseren Personalschlüssel zur Kundgebung vor dem Landtag aufgerufen.