Ostthüringer Zeitung (Rudolstadt)
„Für Menschen nicht mehr bewohnbar“
Der Krieg in der Ostukraine vergiftet auch die Umwelt. Bergwerke laufen voll Wasser – lebensgefährliche Stoffe werden freigesetzt
Pumpen abgeschaltet, die den Spiegel des Grubenwassers stabil halten. Mancherorts sind die Pumpstationen so marode wie die Bergwerke, anderswo liegen ihre Zugänge unter Beschuss.
Der Kiewer Hydrogeologe Jewgeni Jakowlew besitzt Wasserstandsangaben über 22 Zechen im Rebellengebiet: Vom 1. November 2017 bis zum 1. Juli dieses Jahr stieg ihr Wasserspiegel im Schnitt um mehr als 83 Meter. Schon jetzt dringt laut Jakowlew das Grubenwasser vielerorts in Erdschichten ein, in denen es sich mit Grundwasser vermischt. „In fünf bis zwölf Jahren wird das stark mineralisierte und verschmutzte Grubenwasser die Brunnen, Quellen und Flussläufe erreichen.“Eine schleichende Apokalypse. Jakowlew hat mit einem internationalen Forscherteam im Auftrag der OSZE ein Jahr lang die ökologische Lage des Donbas unter Tage untersucht. Nach seiner Einschätzung sind 88 Prozent der unterirdischen Trinkwasserreserven dort ungenießbar. „Die Region“, sagt er, „wird für Menschen nicht mehr bewohnbar sein.“ Rasant stieg das Wasser in der Grube „Junger Kommunarde“in Jenakijewo, zwischenzeitlich um 4,6 Meter täglich. Viele Gruben im Donbas sind durch Schächte verbunden. Und in einem Streb des 2001 stillgelegten Jungen Kommunarden lagert eine Kapsel mit dem radioaktiven Restmüll einer experimentellen Atomexplosion aus dem Jahr 1979. Jakowlews Arbeitsgruppe rechnet damit, dass diese Kapsel 2019 unter Wasser gerät. Nach Aussage eines Beamten der Donezker Rebellenregierung haben russische Fachleute das Projekt einer „nassen Konservierung“der Kapsel vorgestellt. Es werde nichts Schlimmes passieren. „Die Gefahr, dass der radioaktive Inhalt mit einem Mal entweicht, ist sehr gering“, sagt auch Jakowlew. „Und es werden nicht mehr als 50 Curie Strahlung frei, das ist ein Millionstel der Strahlung von Tschernobyl.“Aber er schließe nicht aus, dass radioaktive Partikel auch im Trinkwasser landen.
Das Unheil verbreitet sich auf beiden Seiten der Front. Im Mai kamen die Pumpen in der ukrainischen Zeche Solotoje nicht mehr gegen das steigende Wasser an, das aus drei gefluteten Zechen der Rebellenrepublik Lugansk strömte. Der Wasserspiegel überschwemmte alle aktiven Flöze. Die ukrainischen Hydrologen haben danach das Grubenwasser in Solotoje untersucht, sie fanden darin 1240 Milligramm Sulfat pro Liter (die ukrainische Trinkwassernorm erlaubt maximal 250 Milligramm), 3,7 Milligramm Kupfer (Norm: 1 Milligramm) und 16,9 Milligramm Eisen (Norm: 0,2 Milligramm). Solches Wasser droht dem gesamten Donbas.
Die schleichende Katastrophe unter Tage wird dagegen in den Rebellenrepubliken öffentlich totgeschwiegen, auch die Experten dort bemühen sich um Optimismus. „Katastrophen, das sind Tsunami oder Vulkanausbrüche“, sagt Professor Viktor Driban vom Donezker Institut für Bergbaugeologie. Die gebe es hier nicht. Er hofft auf Drainagen, Abflusskanäle und Bohrungen, um das steigende Grubenwasser zu senken. Die ukrainischen Soldaten halten noch immer die Trümmer der Zeche Butowka. Die Rebellen erwarten eine ukrainische Winteroffensive. Der Aktivist Sergei Nowikow ruft im Internet dazu auf, der Truppe „wegen der Wasserqualität“Arzneien gegen Wurminfektionen zu spenden.
Viele Gruben sind durch Schächte verbunden