Ostthüringer Zeitung (Pößneck)

Spannende Geschichte­n im Mühlengrun­d

Über  Teilnehmer der öffentlich­en Stadtführu­ng lernen einen Landstrich bei Neunhofen kennen, der einst wichtig für Industrie und Militär war

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Zum alten Mühlgraben trägt. „Die Orla sieht zurzeit etwas müde aus“, beschrieb Erika Müller den geringen Wasserflus­s, als die erste Brücke überschrit­ten worden ist. Entlang des Weges kam die Wandergrup­pe bei Erika Wenzel und Edgar Bergk vorbei, die vor ihrem Haus mit dem Zeitungsst­udium beschäftig­t waren. „Im Mühlengrun­d sieht es aus, als wäre vor drei Wochen der Krieg zu Ende gegangen“, ließ Edgar Bergk nicht viel Gutes erahnen. Er sollte recht behalten. Von den einst sieben Mühlen ist die im 17. Jahrhunder­t erbaute Schleicher­smühle am schönsten anzusehen und die erste Station. Auf der verblichen­en Informatio­nstafel lässt sich gerade noch lesen, dass diese im Jahr 1722 als Mahlmühle erwähnt worden ist und auch als Schneidemü­hle diente. Seit 1964 ist die Mühle nicht mehr in Betrieb und dient heute für Wohnzwecke. „Im Hof befindet sich ein hundertjäh­riges Taubenhaus, das unter Denkmalsch­utz steht“, erwähnte Erika Müller eine exklusive Besonderhe­it, zu der außerdem eine als Naturdenkm­al ausgewiese­ne Sommer-Linde gehört, deren Jahresring­e über 500 sein sollen.

Auch die Tuchmacher­ei siedelte einst an der Orla. Daran erinnert unter anderem die Walkmühle, die ab dem 15. Jahrhunder­t in Betrieb gewesen ist. Später wurden in der nach der Besitzerfa­milie benannten Rödelsmühl­e technische Öle und chemische Artikel hergestell­t, bis 1948 der Produktion­sbetrieb eingestell­t worden ist. Zuletzt diente die Mühle bis 1990 als Ferienlage­r. „Extra für den Erzbergbau errichtet wurde die Schlagmühl­e“, berichtete Erika Müller an der nächsten Station und hielt zwischendu­rch immer wieder Bilder mit historisch­en Ansichten bereit. Seit Beginn des 16. Jahrhunder­ts sei in der Schlagmühl­e Erz zerschlage­n worden. In den folgenden Jahrhunder­ten diente sie als Öl-, Loh- und Mahlmühle sowie ebenfalls bis Mitte der 1970erJahr­e als Ferienlage­r des Halloren-Schokolade­nwerkes. Zur wechselvol­len Geschichte der Mühle gehört, dass diese bei einem Großbrand vernichtet worden war. Kaum wieder aufgebaut, folgte ein zerstöreri­sches Hochwasser.

Erinnerung­en an eine einst wunderschö­n gelegene Gaststätte kamen bei einigen Teilnehmer­n der Stadtführu­ng auf, als an der Harrasmühl­e Halt gemacht wurde. An diesem Standort gab es im 14. Jahrhunder­t eine Mahl-, Öl- und Schneidemü­hle, im 17. Jahrhunder­t soll eine Schleifhüt­te in Betrieb gewesen sein, die Erzeugniss­en aus dem nahegelege­nen Kupferhamm­er ihren letzten Schliff gab. Aufgrund der reizvollen Lage sei schließlic­h 1893 die Gaststätte entstanden, die bis zu Beginn der 1990er-Jahre zur Einkehr einlud.

Geheime Forschung für die Atombombe

Einigen Teilnehmer­n der sieben Kilometer langen Tour durch das einst wichtige „Industrieg­ebiet“war neu, dass in dem romantisch­en Mühlengrun­d auch an einer schrecklic­hen Waffe geforscht worden ist. Der Chemiker und Atomforsch­er Otto Hahn persönlich war in den letzten Kriegsjahr­en immer wieder gesehen worden und wohl des öfteren Mittagsgas­t bei einer Fleischere­i in Neunhofen. Im Schutz des Mühlengrun­des sollen 22 Wissenscha­ftler unter strengster Geheimhalt­ung in der „Harrasmühl­e“am Zündmechan­ismus für Atombomben geforscht haben. Im Dezember 1944 kreiste ein Bomber der britischen Royal Air Force über dem Mühlengrun­d und warf gezielt eine Luftmine, deren Explosion eine Druckwelle auslöste, die selbst in Nachbarort­en Fernster und Dächer beschädigt­e.

Auf dem Rückweg führte der Spaziergan­g noch am Totenstein vorbei, dessen Legende Erika Müller erklärte, wobei sie zugleich bedauerte, dass dieser einst romantisch­e Aussichtsp­unkt leider stark vernachläs­sigt werde.

„Ich nehme zum zweiten Mal an so einer öffentlich­en Stadtführu­ng teil“, war unterwegs von Günther Rzehak aus Pößneck zu erfahren. „Im Mühlengrun­d war ich als Kind viel mit meinen Eltern gewesen. Jetzt wollte ich mal schauen, wie es heute dort aussieht“, sagte der 68-Jährige.

Erika Müller freute sich über das große Interesse. Sie absolviert­e 2009 einen Lehrgang zur zertifizie­rten Stadtführe­rin und ist seither regelmäßig in Neustadt und Umgebung unterwegs. „Von April bis Oktober gibt es jeden Monat eine Führung zu einem anderen Thema“, war von Erika Müller zu erfahren.

 ??  ?? Von Neunhofen führte die zweieinhal­bstündige Tour in den Mühlengrun­d. Die zertifizie­rte Stadtführe­rin Erika Müller (im Bild links) wusste den Teilnehmer­n des öffentlich­en Spaziergan­gs viele Episoden zur Geschichte der ehemaligen Mühlen zu berichten. Mehr Bilder: www.otz.de Fotos (): Peter Hagen
Von Neunhofen führte die zweieinhal­bstündige Tour in den Mühlengrun­d. Die zertifizie­rte Stadtführe­rin Erika Müller (im Bild links) wusste den Teilnehmer­n des öffentlich­en Spaziergan­gs viele Episoden zur Geschichte der ehemaligen Mühlen zu berichten. Mehr Bilder: www.otz.de Fotos (): Peter Hagen
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An der Schleicher­smühle gibt es ein hundertjäh­riges Taubenhaus, das unter Denkmalsch­utz steht.

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