Familie in großer Verwirrung
Gieselmanns Glaubenskomödie „Ablass“ist Eisenachs Beitrag fürs Jugendtheater im Reformationsjahr – und würdiges Finale einer kleinen Komödiantentruppe
in der nicht zu klären ist, wer auf welcher Seite steht, wer wem was vorspielt. Die Figuren, ohnehin chronisch in Identitätskrise befindlich, geraten noch umso stärker in sie hinein, je mehr sie dort heraus drängen.
„Es ist sehr schwierig“, findet Brigitte, die zu Brior wird, „in dieser Phase klar zu sehen.“Diese Phase, die Gieselmann hopsnimmt, ist eine ohne festen Standpunkt. Vielleicht deshalb entwarf Anke Niehammer eine nach allen Seiten recht offene Familienhauskonstruktion aus Aluminiumgestänge, in der nichts und niemand richtig dicht ist. Leben als Dauercamping: durchaus bereit, jederzeit die Zelte der Überzeugung abzubrechen.
Hier spielt sich Gieselmanns gut gebaute doppelbödige Komödie ab; Boris C. Motzki, der sie in seiner Uraufführungsregie in die Parodie treibt, beauftragte sie als Beitrag fürs Jugendtheater im Reformationsjahr. Deshalb heißt sie „Ablass“und hat ansonsten mit Luther nur in Anklängen zu tun.
Allerdings dringt hier eine Sekte als Halt versprechende Glaubensgemeinschaft in Familien ein, bekehrt sie mit sanftem Druck zu innerer Einkehr und verlangt, von der Welt draußen, nun ja, abzulassen. Ablasszahlungen treffen die noch Ungläubigen.
Sapor, Einzelgänger ohne Charisma, verschafft sich Zutritt zum Haus der Limonadenhersteller Klaus und Claudette sowie deren Kindern Ivan und Ivette. Über den vereinsamten Sohn gelangt er zu Macht über sie. Nur nicht über Yvette, die sich der Gehirnwäsche entzieht und lutherisch 9,5 Thesen dagegen entwickelt. Möglicherweise aber ist die Rebellin eine Kontrollinstanz der Sekte. Das zentrale Duell Sapor gegen Yvette ist in Eisenach fast ein Totalausfall, weil Gregor Nöllen und Ekaterina Ivanova einstudiert umeinander herumtänzeln und nie tun, was sie behaupten: einander gefährlich zu werden. Roman Kimmich legt sich mit dem empfindungsarmen Ivan auf stoische Ausdruckslosigkeit fest, Yorck Hoßfeld parodiert Vater Klaus als willenlosen Trottel. Es sind zwei Frauen, die den Abend nacheinander letztlich tragen und das große Gefälle im kleinen Ensemble deutlich machen. Jannike Schubert windet sich als Claudette in politischer Korrektheit, die von ihrem inneren Wesen ständig unterlaufen wird. Es scheint mitunter, als spiele sie mit ihrer Palette aus kräftigen Farben des Komischen in einer anderen Inszenierung. Dann übernimmt Dagmar Poppy, als neue Mutter Brior im Frauentauschsystem, und legt eine große Nummer hin: in einer entnervten Tirade über „abgefuckte Teenager“. Da rumort’s lustig im jugendlichen Premierenpublikum.
„Ablass“in Eisenach ist alles in allem ein, wie man so sagt, Spaß für die ganze Familie – sofern sie über sich selbst lachen kann. Den kollektiven Abschied vor Augen, sorgt Motzki für das würdige Finale einer kleinen Komödiantentruppe, deren Möglichkeiten damit aber auch ausgereizt sind.