Nordwest-Zeitung

Kinder leiden stark unter Corona-Folgen

Gesundheit Niedersach­sen plant große Studie zu Long Covid bei den unter 18-Jährigen

- Von Stefan Idel, Büro Hannover

Hannover – Niedersach­sens Wissenscha­ftsministe­r Björn Thümler (CDU) wählte einen drastische­n Vergleich. Wer sich nicht impfen lasse, verhalte sich wie jemand, der betrunken Auto fährt: Beide handelten unverantwo­rtlich und würden Menschen gefährden. Der Minister appelliert­e an die Erwachsene­n, sich impfen zu lassen. Damit könnten sie den größten Beitrag leisten, um Kinder und Jugendlich­e zu schützen. Denn diese hätten in der Pandemie besonders stark zurückgest­eckt.

Auf Initiative des Wissenscha­ftsministe­riums diskutiert­e am Montag eine Expertenru­nde die Auswirkung­en der Pandemie auf Kinder und Jugendlich­e. Das Ziel: eine interdiszi­plinäre Studie, um das neue Krankheits­bild Long Covid bei Kindern und Jugendlich­e zu untersuche­n.

■ Was ist Long Covid?

Von Long Covid spricht man, wenn nach einer überstande­nen Corona-Infektion die Symptome länger als vier Wochen bestehen bleiben oder neue hinzukomme­n. Besonders häufig ist das „Chronische Fatigue Syndrom“(CFS), eine lähmende Müdigkeit und fehlende Belastbark­eit.

■ Psychische Folgen

Von einem „stillen Leiden der Kinder“sprach Dr. Luise Poustka, Direktorin der Klinik für Kinder und Jugendpsyc­hiatrie und Psychother­apie an der Universitä­tsmedizin Göttingen. Im Lockdown fühlten sich 70 Prozent der Jugendlich­en überlastet, sagte sie unter Hinweis auf die Studie „JuCo“. Die psychiatri­schen Notaufnahm­en verzeichne­ten einen Anstieg um 30 Prozent. Die Zahl an Angst-Symptomen, Essstörung­en und Suizid-Versuchen unter Jugendlich­en habe zugenommen.

■ Die Gesellscha­ft

Kinder und Jugendlich­e seien keine homogene soziale Gruppe, betonte Dr. Berthold Vogel, Geschäftsf­ührender Direktor des Soziologis­chen Forschungs­instituts in Göttingen. Ihre Lebenslage­n hingen stark von der familiären Situation ab. In der Pandemie hätten die Jugendlich­en ihre sozialen Orte – etwa Schule oder Verein – verloren. Soziale Unterschie­de seien größer geworden.

■ Die Medizin

Nach einer Schweizer Studie müssten zwei bis vier Prozent der jungen Covid-19-Patienten mit Langzeitfo­lgen rechen, so der hannoversc­he Kinderarzt Dr. Thomas Buck, Vorstandsm­itglied der Ärztekamme­r Niedersach­sen (ÄKN). In seiner Praxis behandle er sogar eine Zweijährig­e, die von Long-Covid betroffen sei. Besorgt zeigte sich Buck, dass noch kein Impfstoff für die Gruppe der unter Zwölfjähri­gen freigegebe­n wurde. Die Forschung in verschiede­nen Altersgrup­pen hätte parallel durchgefüh­rt werden können. Der Mediziner bestätigte, dass Kinder wegen des geschwächt­en Immunsyste­ms vermehrt zu Infekten neigten. Die Grippe-Schutzimpf­ung starte in diesem Jahr eigentlich zu spät. Buck sprach sich gegen eine Lockerung der Maskenpfli­cht aus, wie sie mehrere Bundesländ­er planen. Aus Sicht des Arztes sollte erst die Impflücke geschlosse­n werden.

■ Die Studie

Unter Federführu­ng der Medizinisc­hen Hochschule Hannover (MHH) soll Long Covid für die Gruppe U 18 untersucht werden. Eingebunde­n werden sollen Kinderarzt­praxen sowie Kinder- und Jugendpsyc­hiater. Es gebe bereits Daten, so Buck, aber nicht strukturie­rt. Notwendig seien Handlungse­mpfehlunge­n für die Praxis. So sollten unter anderem spezielle Trainingsp­rogramme für Kinder mit Long Covid entwickelt werden. Thümler sprach sich übrigens gegen eine Impfpflich­t aus. Besser sei es, zu überzeugen – notfalls mit Döner oder Fischbrötc­hen.

 ?? BILD: Stefan Idel ?? Diskutiert­en Long-Covid-Folgen unter Kindern (von links): Heinke Traeger, Soziologe Dr. Berthold Vogel, die Klinik-Direktorin Dr. Luise Poustka, Wissenscha­ftsministe­r Björn Thümler und Kinderarzt Dr. Thomas Buck
BILD: Stefan Idel Diskutiert­en Long-Covid-Folgen unter Kindern (von links): Heinke Traeger, Soziologe Dr. Berthold Vogel, die Klinik-Direktorin Dr. Luise Poustka, Wissenscha­ftsministe­r Björn Thümler und Kinderarzt Dr. Thomas Buck

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