Kinder leiden stark unter Corona-Folgen
Gesundheit Niedersachsen plant große Studie zu Long Covid bei den unter 18-Jährigen
Hannover – Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) wählte einen drastischen Vergleich. Wer sich nicht impfen lasse, verhalte sich wie jemand, der betrunken Auto fährt: Beide handelten unverantwortlich und würden Menschen gefährden. Der Minister appellierte an die Erwachsenen, sich impfen zu lassen. Damit könnten sie den größten Beitrag leisten, um Kinder und Jugendliche zu schützen. Denn diese hätten in der Pandemie besonders stark zurückgesteckt.
Auf Initiative des Wissenschaftsministeriums diskutierte am Montag eine Expertenrunde die Auswirkungen der Pandemie auf Kinder und Jugendliche. Das Ziel: eine interdisziplinäre Studie, um das neue Krankheitsbild Long Covid bei Kindern und Jugendliche zu untersuchen.
■ Was ist Long Covid?
Von Long Covid spricht man, wenn nach einer überstandenen Corona-Infektion die Symptome länger als vier Wochen bestehen bleiben oder neue hinzukommen. Besonders häufig ist das „Chronische Fatigue Syndrom“(CFS), eine lähmende Müdigkeit und fehlende Belastbarkeit.
■ Psychische Folgen
Von einem „stillen Leiden der Kinder“sprach Dr. Luise Poustka, Direktorin der Klinik für Kinder und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Göttingen. Im Lockdown fühlten sich 70 Prozent der Jugendlichen überlastet, sagte sie unter Hinweis auf die Studie „JuCo“. Die psychiatrischen Notaufnahmen verzeichneten einen Anstieg um 30 Prozent. Die Zahl an Angst-Symptomen, Essstörungen und Suizid-Versuchen unter Jugendlichen habe zugenommen.
■ Die Gesellschaft
Kinder und Jugendliche seien keine homogene soziale Gruppe, betonte Dr. Berthold Vogel, Geschäftsführender Direktor des Soziologischen Forschungsinstituts in Göttingen. Ihre Lebenslagen hingen stark von der familiären Situation ab. In der Pandemie hätten die Jugendlichen ihre sozialen Orte – etwa Schule oder Verein – verloren. Soziale Unterschiede seien größer geworden.
■ Die Medizin
Nach einer Schweizer Studie müssten zwei bis vier Prozent der jungen Covid-19-Patienten mit Langzeitfolgen rechen, so der hannoversche Kinderarzt Dr. Thomas Buck, Vorstandsmitglied der Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN). In seiner Praxis behandle er sogar eine Zweijährige, die von Long-Covid betroffen sei. Besorgt zeigte sich Buck, dass noch kein Impfstoff für die Gruppe der unter Zwölfjährigen freigegeben wurde. Die Forschung in verschiedenen Altersgruppen hätte parallel durchgeführt werden können. Der Mediziner bestätigte, dass Kinder wegen des geschwächten Immunsystems vermehrt zu Infekten neigten. Die Grippe-Schutzimpfung starte in diesem Jahr eigentlich zu spät. Buck sprach sich gegen eine Lockerung der Maskenpflicht aus, wie sie mehrere Bundesländer planen. Aus Sicht des Arztes sollte erst die Impflücke geschlossen werden.
■ Die Studie
Unter Federführung der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) soll Long Covid für die Gruppe U 18 untersucht werden. Eingebunden werden sollen Kinderarztpraxen sowie Kinder- und Jugendpsychiater. Es gebe bereits Daten, so Buck, aber nicht strukturiert. Notwendig seien Handlungsempfehlungen für die Praxis. So sollten unter anderem spezielle Trainingsprogramme für Kinder mit Long Covid entwickelt werden. Thümler sprach sich übrigens gegen eine Impfpflicht aus. Besser sei es, zu überzeugen – notfalls mit Döner oder Fischbrötchen.