Steinmeier gedenkt NS-Opfer
In Sandbostel kamen Tausende sowjetischer Kriegsgefangene ums Leben
Sandbostel – Was hat ein niedersächsisches Bauerndorf mit dem Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion vor 80 Jahren zu tun? Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am Montag die Gedenkstätte Sandbostel im Kreis Rotenburg besucht: Im Zweiten Weltkrieg unterhielt die Wehrmacht nahe dem Dorf ein Lager. Mehr als 300 000 Kriegsgefangene wurden hier eingesperrt. Tausende von ihnen starben an Misshandlungen, Hunger und Krankheit.
Rechte verweigert
„Unternehmen Barbarossa – das war der ganz und gar verharmlosende Deckname eines verbrecherischen Angriffskrieges, eines Vernichtungskrieges“, sagte Steinmeier. Für das Staatsoberhaupt bedeutet der Besuch den Auftakt zu einer Reihe von Veranstaltungen, mit denen er an den 22. Juni 1941 erinnert, den Tag des Angriffs auf die Sowjetunion. Als erster Bundespräsident wird er am kommenden Freitag an der Berliner Gedenkstätte Karlshorst eine Rede halten – an dem Ort, an dem Deutschland im Mai 1945 vor der Roten Armee kapitulierte.
Kein Land hatte im Zweiten Weltkrieg so viele Opfer zu beklagen wie die Sowjetunion, etwa 27 Millionen Tote. Allein etwa drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene kamen in deutscher Gefangenschaft um. „Dieses Sterben hat nicht irgendwo in weiter Ferne stattgefunden“, sagte Steinmeier. „Mein Besuch gilt einer Opfergruppe, die auch in der deutschen Erinnerung weitgehend vergessen worden ist.“
Die ersten 10 000 sowjetischen Gefangenen kamen im Oktober 1941 nach Sandbostel. Viele starben schon nach wenigen Monaten. In den sogenannten Russenlagern wurden den Soldaten systematisch ihre Rechte nach der Genfer Konvention verweigert: Für sie gab es keinen Sport, keine Gottesdienste, keine Kultur, keine Lebensmittelpakete und keine Besuche durch das Rote Kreuz.
1945 befreit
Zu essen bekamen sie nur etwas Brot und einige Gramm Butter am Tag, sowie „eine sehr wässerige Suppe mit verfaultem Gemüse“, sagt Andreas Ehresmann, Leiter der Gedenkstätte. Viele seien auf 30 bis 40 Kilogramm abgemagert. Aus dem Lager wurden sie auf zahllose Arbeitskommandos aufgeteilt.
Am 29. April 1945 befreiten britische Soldaten die noch etwa 20 000 Gefangenen in Sandbostel. In den Massengräbern des Lagerfriedhofs, an denen Steinmeier den Kranz niederlegte, ruhen 4700 namentlich bekannte sowjetische Opfer. Aber es habe viel mehr Tote gegeben, sagt Ehresmann. Die überlebenden Soldaten wurden in ihre Heimat zurückgebracht. Viele von ihnen kamen dort in Lager, weil Sowjetdiktator Josef Stalin alle Gefangenen als mögliche Verräter betrachtete.