EU sucht händeringend nach Impfstoff
Streit um Verteilung der Vakzine – Weiter Unklarheit um Astrazeneca-Lieferung an Italien
Brüssel – Die Ratlosigkeit der 27 Staats- und Regierungschefs war mit Händen zu greifen. Sie hatten sich an diesem Donnerstag zu einem virtuellen EU-Gipfel getroffen, bei dem es eigentlich nur um eine Frage ging: Woher bekommt die EU schnell ausreichend viel Covid-19-Impfstoff? Dabei war schon vor dem Treffen absehbar, dass es darauf keine Antwort geben würde.
Hoffnung und Frust
Der Überblick, mit dem EUKommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Gipfel eröffnete, bewirkte sowohl Hoffnung als auch Frustration. Von den 450 Millionen EU-Bürgern sind inzwischen (nur?) 62 Millionen mindestens einmal geimpft worden. 18,2 Millionen haben auch eine zweite Dosis bekommen. Die EU-Staaten erhielten seit dem 1. Dezember rund 88 Millionen Dosen, weitere 77 Millionen gingen in den Export. Im zweiten Quartal werden 360 Millionen Dosen erwartet.
Es wurden Lösungen diskutiert, von denen jeder der 27 Staatenlenker wusste, dass sie nur neue Probleme schaffen würden. Bundeskanzlern Angela Merkel (CDU) will die Impfstoffproduktion innerhalb der Gemeinschaft hochfahren, doch das wirkt nur langfristig. Einige Mitgliedstaaten sprachen sich für eine schärfere Exportkontrolle für Impfstoffe aus, wohl wissend, dass diese zur Unterbrechung der Lieferketten für die Rohmaterialien der Vakzine führen könnte.
Dabei ahnt die EU längst, dass sie von den Unternehmen abhängig ist – und sich fragen muss, ob sie zumindest von einem Vertragspartner ständig verschaukelt wird.
Dass italienische Behörden am Tag vor dem Gipfel 29 Millionen Dosen des AstrazenecaVakzins in Italien entdeckten, deren Bestimmung auch am Donnerstag noch nicht zweifelsfrei geklärt werden konnte, hat die Stimmung aufgeheizt. 29 Millionen Dosen – das sind mehr Impfeinheiten, als das Unternehmen bisher in die EU geliefert hat.
Ungleichgewicht
Und dann war da noch der Streit um eine faire Verteilung der Impfstoffe, den Österreichs Kanzler Sebastian Kurz losgetreten hatte. Dieses Ungleichgewicht kommt dadurch zustande, dass nicht alle EUStaaten die ihnen laut Bevölkerungszahl zustehenden Mengen von den Herstellern gekauft haben. Doch Kurz taugt nicht als Ankläger. Aus aktuellen Zahlen des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) geht hervor, dass Österreich – in Relation zur Einwohnerzahl – mehr Impfdosen bekommen und verimpft hat, als die meisten anderen EU-Staaten, auch mehr als Deutschland.
Inzwischen hat Biontech weitere zehn Millionen Dosen zur Verfügung gestellt. Wie diese aufgeteilt werden sollen, wurde seit Tagen verhandelt.
Eine Lösung? Die gab es tatsächlich, obwohl keiner weiß, wie sie aussieht. Die EU-Botschafter sollen die zehn Millionen Impfdosen von Biontech als Ausgleichsmasse nutzen dürfen.