Steinmeier wirbt für Vertrauen zur Bundeswehr
Harald Kujat über Missionen in aller Welt, Wehrpflicht und Mangel
Berlin/ah/epd – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wünscht sich in der Gesellschaft mehr Vertrauen zur Bundeswehr. „Armee und Gesellschaft dürfen sich in einer Demokratie niemals fremd werden“, sagte er beim feierlichen Gelöbnis zum 65. Gründungstag der Bundeswehr in Schloss Bellevue. Er würdigte das Engagement der Soldaten in der Corona-Pandemie.
Aus Anlass des Geburtstages hat unsere Berliner Redaktion ein Interview mit dem früheren Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, geführt. Das Gespräch und einen Kommentar zur Bundeswehr lesen Sie auf
Herr Kujat, die Bundeswehr hat ihren 65. Geburtstag mit einem Gelöbnis vor dem Schloss Bellevue in Berlin gefeiert. Ist ein solches Zeremoniell heute noch zeitgemäß? Kujat: Gelöbnisse sind immer noch sehr zeitgemäß. Die Bundeswehr leistet einen großen Dienst für die Gesellschaft und die Sicherheit unseres Landes, für Europa und unsere Verbündeten. In der CoronaPandemie unterstützt sie im Zuge der Amtshilfe die Gesundheitsbehörden. Das verdient Dank und Anerkennung und keinen Protest.
Die Soldatinnen und Soldaten geloben, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes zu verteidigen. Die Bundeswehr hat sich von der Verteidigungsarmee zur Einsatzarmee gewandelt. Ein notwendiger und gelungener Prozess? Kujat: Die Veränderung zur Einsatzarmee im Sinne der Reduzierung auf Auslandseinsätze sehe ich sehr kritisch. Die Landes- und Bündnisarmee ist nach wie vor die Kernaufgabe der Bundeswehr. Das ist das, was das Grundgesetz von der Bundeswehr fordert und das, was sie leisten muss. 2011 sind mit den verteidigungspolitischen Richtlinien die Bedingungen verändert worden. Die Bundeswehr ist jetzt primär in Struktur, Ausrüstung und Personalumfang auf Auslandseinsätze ausgerichtet. Das halte ich für falsch. Es ist auch nicht verfassungsgemäß. Inzwischen ist jedoch durch die veränderte sicherheitspolitische Lage auch in der Politik das Verständnis gewachsen, dass die Landesverteidigung die Kernaufgabe der Truppe ist.
Gilt die Aussage des früheren Verteidigungsministers Peter Struck noch, dass Deutschlands Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt wird? Kujat: Struck wollte damit um Verständnis für den Einsatz in Afghanistan werben. Wir müssen die Ursachen für Krisen und Konflikte bekämpfen, die Einfluss auch auf unsere eigene Sicherheit haben. Dazu gehören beispielsweise die Diplomatie, die Entwicklungshilfe und als Ultima Ratio der Einsatz von Streitkräften. Es muss ein strategisches Gesamtkonzept geben, mit dem Schwerpunkt auf Sicherheitsvorsorge.
Auch heute heißt es bei der Bundeswehr noch „bedingt abwehrbereit“. Es mangelt an der notwendigen Ausrüstung. Wie groß sind die Mängel und Lücken?
Kujat: Diese Probleme gibt es bereits seit vielen Jahren. Wir müssten ein großes Interesse daran haben, dass die Bundeswehr ihre verfassungsmäßigen Aufgaben auch erfüllen kann. Das wäre vernünftiges Regierungshandeln. Schließlich geht es auch um die Sicherheit der Soldaten. Die Bundeskanzlerin hat dreimal gegenüber unseren Verbündeten erklärt, Deutschland werde bis 2024 die Verpflichtung erfüllen, zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts für die gemeinsame Sicherheit aufwenden. Eigentlich gilt diese Zusage gegenüber unseren Soldaten. Wir haben es jedoch bis heute nicht getan und werden diese Zusage bis 2024 auch nicht einlösen. Ebenso wenig wie wir mehr als 20 Prozent des Verteidigungshaushalts für moderne Ausrüstung und Bewaffnung investieren werden. Die Bundeswehr ist in skrupelloser Weise vernachlässigt worden. Das ist beschämend. Wir verlangen Einsätze in Mali, Afghanistan und anderen Brennpunkte auf der ganzen Welt. Auf der anderen Seite erhält die Bundeswehr nicht das, was sie braucht, um die Landesverteidigung zu sichern.
War es ein Fehler, sich von der Wehrpflichtarmee zu verabschieden?
Kujat: Wir hatten die besten Soldaten, weil wir die Wehrpflicht hatten. Die Art und Weise, wie wir die Wehrpflicht abgeschafft haben, war ein Fehler. Die Politik hat die Wehrpflicht aus Kostengründen ausgesetzt, um bei der Bundeswehr noch mehr zu sparen. Wir sollten die negativen Folgen der Abschaffung der Wehrpflicht wieder korrigieren. Die Bundeswehr muss wieder besser ausgestattet und ausgerüstet werden, wenn die Truppe wieder in der Lage sein soll, ihre Aufgaben zu erfüllen.