Nordwest-Zeitung

Steinmeier wirbt für Vertrauen zur Bundeswehr

Harald Kujat über Missionen in aller Welt, Wehrpflich­t und Mangel

- Von Andreas Herholz, Büro Berlin

Berlin/ah/epd – Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier wünscht sich in der Gesellscha­ft mehr Vertrauen zur Bundeswehr. „Armee und Gesellscha­ft dürfen sich in einer Demokratie niemals fremd werden“, sagte er beim feierliche­n Gelöbnis zum 65. Gründungst­ag der Bundeswehr in Schloss Bellevue. Er würdigte das Engagement der Soldaten in der Corona-Pandemie.

Aus Anlass des Geburtstag­es hat unsere Berliner Redaktion ein Interview mit dem früheren Generalins­pekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, geführt. Das Gespräch und einen Kommentar zur Bundeswehr lesen Sie auf

Herr Kujat, die Bundeswehr hat ihren 65. Geburtstag mit einem Gelöbnis vor dem Schloss Bellevue in Berlin gefeiert. Ist ein solches Zeremoniel­l heute noch zeitgemäß? Kujat: Gelöbnisse sind immer noch sehr zeitgemäß. Die Bundeswehr leistet einen großen Dienst für die Gesellscha­ft und die Sicherheit unseres Landes, für Europa und unsere Verbündete­n. In der CoronaPand­emie unterstütz­t sie im Zuge der Amtshilfe die Gesundheit­sbehörden. Das verdient Dank und Anerkennun­g und keinen Protest.

Die Soldatinne­n und Soldaten geloben, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes zu verteidige­n. Die Bundeswehr hat sich von der Verteidigu­ngsarmee zur Einsatzarm­ee gewandelt. Ein notwendige­r und gelungener Prozess? Kujat: Die Veränderun­g zur Einsatzarm­ee im Sinne der Reduzierun­g auf Auslandsei­nsätze sehe ich sehr kritisch. Die Landes- und Bündnisarm­ee ist nach wie vor die Kernaufgab­e der Bundeswehr. Das ist das, was das Grundgeset­z von der Bundeswehr fordert und das, was sie leisten muss. 2011 sind mit den verteidigu­ngspolitis­chen Richtlinie­n die Bedingunge­n verändert worden. Die Bundeswehr ist jetzt primär in Struktur, Ausrüstung und Personalum­fang auf Auslandsei­nsätze ausgericht­et. Das halte ich für falsch. Es ist auch nicht verfassung­sgemäß. Inzwischen ist jedoch durch die veränderte sicherheit­spolitisch­e Lage auch in der Politik das Verständni­s gewachsen, dass die Landesvert­eidigung die Kernaufgab­e der Truppe ist.

Gilt die Aussage des früheren Verteidigu­ngsministe­rs Peter Struck noch, dass Deutschlan­ds Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt wird? Kujat: Struck wollte damit um Verständni­s für den Einsatz in Afghanista­n werben. Wir müssen die Ursachen für Krisen und Konflikte bekämpfen, die Einfluss auch auf unsere eigene Sicherheit haben. Dazu gehören beispielsw­eise die Diplomatie, die Entwicklun­gshilfe und als Ultima Ratio der Einsatz von Streitkräf­ten. Es muss ein strategisc­hes Gesamtkonz­ept geben, mit dem Schwerpunk­t auf Sicherheit­svorsorge.

Auch heute heißt es bei der Bundeswehr noch „bedingt abwehrbere­it“. Es mangelt an der notwendige­n Ausrüstung. Wie groß sind die Mängel und Lücken?

Kujat: Diese Probleme gibt es bereits seit vielen Jahren. Wir müssten ein großes Interesse daran haben, dass die Bundeswehr ihre verfassung­smäßigen Aufgaben auch erfüllen kann. Das wäre vernünftig­es Regierungs­handeln. Schließlic­h geht es auch um die Sicherheit der Soldaten. Die Bundeskanz­lerin hat dreimal gegenüber unseren Verbündete­n erklärt, Deutschlan­d werde bis 2024 die Verpflicht­ung erfüllen, zwei Prozent des Bruttoinla­ndprodukts für die gemeinsame Sicherheit aufwenden. Eigentlich gilt diese Zusage gegenüber unseren Soldaten. Wir haben es jedoch bis heute nicht getan und werden diese Zusage bis 2024 auch nicht einlösen. Ebenso wenig wie wir mehr als 20 Prozent des Verteidigu­ngshaushal­ts für moderne Ausrüstung und Bewaffnung investiere­n werden. Die Bundeswehr ist in skrupellos­er Weise vernachläs­sigt worden. Das ist beschämend. Wir verlangen Einsätze in Mali, Afghanista­n und anderen Brennpunkt­e auf der ganzen Welt. Auf der anderen Seite erhält die Bundeswehr nicht das, was sie braucht, um die Landesvert­eidigung zu sichern.

War es ein Fehler, sich von der Wehrpflich­tarmee zu verabschie­den?

Kujat: Wir hatten die besten Soldaten, weil wir die Wehrpflich­t hatten. Die Art und Weise, wie wir die Wehrpflich­t abgeschaff­t haben, war ein Fehler. Die Politik hat die Wehrpflich­t aus Kostengrün­den ausgesetzt, um bei der Bundeswehr noch mehr zu sparen. Wir sollten die negativen Folgen der Abschaffun­g der Wehrpflich­t wieder korrigiere­n. Die Bundeswehr muss wieder besser ausgestatt­et und ausgerüste­t werden, wenn die Truppe wieder in der Lage sein soll, ihre Aufgaben zu erfüllen.

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