Nordwest-Zeitung

70 Tumore und Streit mit der Kasse

Gerda Köller musste vor der benötigten Operation erst das Sozialgeri­cht bemühen

- Von Markus Minten

Oldenburg – „Es gibt andere Frauen, die einen ähnlichen Weg vor sich haben. Und denen will ich Mut machen.“Gerda Köhler hat eine Krankheits­geschichte hinter sich, die in dieser Form zwar außergewöh­nlich ist, die aber auch andere treffen kann. Und deshalb schweigt sie auch bei einem Thema nicht, das für viele noch immer tabu ist.

„Wenn man über 70 MiniTumore in den Brüsten hat und immer wieder die Diagnose hört, dass die Gefahr besteht, dass aus den kleinen Tumoren bösartiger Krebs wird, verändert das das Leben“, sagt die 44-Jährige. Ihre Erkrankung: eine ausgeprägt­e Milchgangs-Papillomat­ose.

Gang vors Gericht

Das Problem: Ihre Krankenkas­se lehnte eine vorbeugend­e Entfernung der Brustdrüse­n ab – obwohl dies von medizinisc­her Seite als notwendig anerkannt worden war: Die 70 kleinen Brusttumor­e bedeuteten ein sich vergrößern­des Brustkrebs­risiko, hatten ihre Ärzte argumentie­rt.

Köllers Leidensweg begann im Herbst 2017: Eine turnusmäßi­ge Mammografi­e erbrachte einen auffällige­n Befund. Aus der anfänglich­en Diagnose – gutartige Tumore im Drüsengewe­be – entwickelt­e sich eine bis dahin unbekannte Krankheit der Brust. Die Folgen: Flüssigkei­tsabsonder­ung und Schmerzen. Eine am Brustzentr­um Kreyenbrüc­k vorgenomme­ne Röntgenunt­ersuchung der Milchgänge erbrachte eine Diagnose. „Wir haben über 70 Tumore gezählt, das habe ich noch nie gesehen“, habe ihr der Arzt gesagt, erinnert sich Köller.

Es folgte die erste Operation, um die Tumore zu entfernen. Doch die Blutungen hielten an. „Da hatte ich zum ersten Mal Angst, dass daraus Karzinome werden könnten“. Wenn die Papillome den Milchgang durchbrech­en, können sie entarten. Es folgten zahlreiche Stanzbiops­ien, Untersuchu­ngen, Besprechun­gen

– und immer wieder das Warten auf Ergebnisse. Dann entschiede­n Köller und ihre Ärzte, die Brüste zu entfernen.

Verständni­svolle Richterin

„Es war das Stadium der Unkontroll­ierbarkeit erreicht, es bedeutete für mich eine dauerhafte Angst.“Für Köller waren brusterhal­tende Maßnahmen keine Lösung.

Doch die Kasse wollte die vorbeugend­e OP nicht bezahlen. So blieb nur der Gang vor das Sozialgeri­cht. Unterstütz­ung erhielt sie vom Sozialverb­and SoVD. Und die 44-Jährige ist „froh, dass mich die Richterin in meiner physischen und psychische­n Lage verstanden hat“. Vor allem ein Satz der Richterin ist ihr im Gedächtnis geblieben: „Die Zumutbarke­it ist lange überschrit­ten.“Denn jeder weitere Eingriff war für die Frau, die seit einem

Arbeitsunf­all seit 2014 im Rollstuhl sitzt, extrem belastend. Sie hatte auch Angst, den gerade gefundenen Arbeitspla­tz zu verlieren.

All diese Ängste sind seit einer erfolgreic­hen Operation Ende Juli, bei der beide Brüste entfernt wurden, weg. Zwar war die Krankenkas­se auch vom Spruch des Gerichts zunächst nicht überzeugt, hat später einer Kostenüber­nahme aber doch zugestimmt.

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BILD: Hergen Riedel Gerda Köller ist froh, nach erfolgreic­her Operation wieder mit ihrem Hund Benji spielen zu können.

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