Minister Heil will in Fleischbranche „aufräumen“
Renate Künast über Fleischbetriebe, Vertragsarbeit und Mindestpreise
DISSEN/HANNOVER/DPA/STI – Das Bundeskabinett soll nach Willen von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Mittwoch Maßnahmen für einen besseren Schutz der Arbeitskräfte in der Fleischbranche beschließen. Heil sagte nach Beratungen des Corona-Kabinetts am Montag in Berlin, seine Vorschläge lägen auf dem Tisch, seien aber noch nicht beschlossen worden, weil der Koalitionspartner noch Gesprächsbedarf habe. Der Minister betonte: „Es ist Zeit, in diesem Bereich aufzuräumen und durchzugreifen.“
Am Sonntag war bekannt geworden, dass bei einem Unternehmen in Dissen (Kreis Osnabrück) 92 von 278 getesteten Mitarbeitern „positiv“sind. 62 der Mitarbeiter leben im Kreis Osnabrück, sagte Sozialministerin Carola Reimann (SPD) am Montag. Es sei eine zweiwöchige Quarantäne angeordnet. Mitarbeiter, die negativ getestet wurden, sollen Einzelzimmer erhalten. Die Kosten für die Unterbringung müsse das Unternehmen bezahlen. Auch solle in absehbarer Zeit nachgetestet werden, sagte Reimann. Sie unterstütze Heil bei seinen Bemühungen, die Missstände in der Branche zu beenden. Die Arbeit in dem Dissener Betrieb, der von den Firmen Westfleisch und Danish Crown gemeinsam betrieben wird, wurde eingestellt. Laut Landkreis darf der Betrieb aber noch 2000 Tonnen Fleisch verarbeiten, die dort lagern.
Frau Künast, es gibt täglich neue Meldungen über eine hohe Zahl von Corona-Fällen in Fleischbetrieben. Wo liegen Ihrer Ansicht nach die Ursachen dafür?
Künast: Die Wohnsituation und der Transport der Arbeiter zu den Schlachtereien sorgen hier dafür, dass die Zahl der Infektionen so hoch ist. Auch die räumliche Enge im Arbeitsprozess führt am Ende zu höherer Infektionsgefahr und vielen Corona-Fällen. Das muss sich ändern, der Gesundheitsschutz verbessert werden.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will in der Branche „aufräumen“und hat ein Konzept vorgelegt, das unter anderem ein Verbot der Werkverträge vorsieht. Sehen Sie das als den richtigen Weg? Künast: Die Große Koalition merkt nun durch die CoronaInfektionsfälle, dass in den Fleischbetrieben die Hütte brennt. Die Arbeitsbedingungen in der Branche stehen schon lange in der Kritik. Seit fast 20 Jahren wird in den Schlachtereien der Arbeitsschutz durch Werkverträge und Leiharbeit umgangen. Auch den Landkreisen, die sich sonst über die Steuereinnahme von den Fleischbetrieben freuen, fällt nun auf, dass sie von den Folgen der mangelnden Hygienemaßnahmen und Kontaktbeschränkungen betroffen sind. Arbeiter haben auch Kontakte außerhalb des Fleischbetriebes, etwa beim Einkauf von Lebensmitteln. Endlich wird jetzt reagiert. Es hätte im Bereich des Arbeitslebens frühzeitig nach CoronaRisikogebieten gesucht werden müssen. Die Beschäftigten sind vielleicht keine Risikogruppe, sie haben aber Arbeits- und Lebensbedingungen, die die Infektionsgefahr erhöhen. Schulen und Kindergärten wurden geschlossen, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Im Bereich der Arbeit ist aber weggeschaut worden. Das Gegenteil ist sogar der Fall. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner
und Bundesinnenminister Horst Seehofer haben eine Vereinbarung über Saisonarbeit getroffen. Da kann man davon ausgehen, dass der eine oder andere auch in den Fleischfabriken eingesetzt wird. Die Vorgaben des Bundesarbeitsministeriums, wonach nur zwei bis drei Personen in einer Unterkunft sein dürfen und getrennt in Fahrzeugen zur Arbeit gebracht werden sollen, werden hier nicht mal gefordert.
Die Missstände beim Gesundheitsschutz werden bewusst ignoriert?
Künast: Ja. Es hat sich für viele ein Geschäftsmodell entwickelt, das sämtliche rechtlichen Möglichkeiten ausnutzt. Es gibt auch einige positive Ausnahmen. Viele verwenden aber dieses Modell: Den Arbeitnehmern vor Ort wird gekündigt. Dann werden Vertragsarbeiter aus osteuropäischen Ländern eingesetzt, zu Gehältern und Lebensbedingungen, die hier nicht akzeptiert würden und von denen man hier auch nicht leben kann. Das ist der Missbrauch von Freizügigkeit in der EU.
Grünen-Parteichef Robert Habeck fordert höhere Preise für Fleisch. Muss das Schnitzel teurer werden?
Künast: Schon aus Interesse um die eigene Gesundheit sollte man nicht möglichst viel und nicht billiges Fleisch essen. Die Preise müssen akzeptable Arbeitsbedingungen zulassen. Im Moment werden Fleischprodukte im Lebensmittelhandel zum Teil unter dem Einkaufspreis verkauft. Das erhöht den Druck auf die Produzenten. Wir müssen Mindestpreise für Fleisch im deutschen Recht verankern. Das Bundeskartellamt kann die Überwachung der Preise übernehmen. Wir müssen Löhne zahlen und Arbeitsbedingungen haben, mit denen man leben kann. Dumpingpreise können nicht unser Interesse sein. Die niedrigen Löhne für die Beschäftigten aus Osteuropa drücken auch die Löhne von Mitarbeitern hierzulande. Das verdirbt uns den Arbeitsmarkt.