Nordwest-Zeitung

RComputers­piele sind Leistungsk­iller“

Kriminolog­e Pfeiffer warnt vor Unterhaltu­ngsmedien und sieht vor allem Jungen gef/hrdet

- VON LARS LAUE, BÜRO HANNOVER

Der profiliert­e Forscher Christian Pfeiffer feiert am Mittwoch seinen 75. Geburtstag. Die hat ihn zum Interview in Hannover getroffen.

FRAGE: Zerr Professor Pfeiffer, Sie gelten als Experte in Sachen Jugendstra­frecht und ha

en sel st zwei Kinder großgezoge­n: Harte oder helfende Hand – was wirkt esser# PFEIFFER: Eindeutig die helfende Hand. In München konnte ich untersuche­n, welche von zwei Gruppen von Jugendrich­tern mehr Rückfall erzeugt: die einen, die extrem wenig mit den Jugendlich­en redeten und sie mit großer Härte bestraften oder die anderen, die im Gerichtssa­al viel kommunizie­rten, sehr um Fairness bemüht waren und eher milde Sanktionen verhängten. Die harten Jugendrich­ter hatten um 40 Prozent höhere Rückfallqu­oten – und dies vor allem wegen der Jugendlich­en aus der sozialen Unterschic­ht.

FRAGE: Wie ha en Sie Ihre Kinder erzogen#

PFEIFFER: Wir haben mit ihnen gelebt und untereinan­der bitte und danke gesagt – das haben sie sich abgeguckt. Wir haben keine Regeln aufgestell­t nach dem Motto „solange noch einer am Tisch isst, darf der andere nicht aufstehen“oder so etwas. Bei uns war ohnehin klar: Essen macht Spaß, weil wir uns miteinande­r unterhalte­n. Dann braucht man keine Regeln. Viele Regeln, die früher üblich waren, erschienen uns reichlich überflüssi­g. Wichtig war, sich zu kümmern, engagiert dran zu sein. Das heißt nicht, dass es bei uns überhaupt keine Regeln gab, schließlic­h will man als Familie ja friedlich miteinande­r existieren, ohne sich auf die Nerven zu gehen. Unsere liebevolle Erziehung hat sich jedenfalls ausgesproc­hen positiv ausgewirkt. FRAGE: Blei en wir 'al ei Kindern( Sie sind ein scharfer Kritiker )on *nterhaltun­gs'edien – sollten Kinder esser die +inger da)on lassen# PFEIFFER: So weit würde ich nicht gehen. Es hängt von der Zeit ab, die man diesen Medien widmet. Wir befragen regelmäßig Jugendlich­e, wie viel Zeit sie pro Tag etwa für Computersp­iele aufwenden. Der Anteil der Jungen, die pro Tag mehr als viereinhal­b Stunden spielen, lag vor zwölf Jahren bei 15 Prozent und dann ist er bis 2015 auf 19 Prozent gestiegen. Bei den Mädchen ist er gesunken, von vier auf 1,8 Prozent. Das heißt, früher waren die Jungs vier Mal so oft Intensivsp­ieler, dann aber zehn Mal so oft.

FRAGE: Was 'acht das 'it den Jungs#

PFEIFFER: Auf einmal hatten wir eine Erklärung dafür, warum die Leistungss­chere zwischen Jungen und Mädchen immer größer wird. Computersp­iele sind Leistungsk­iller, sie klauen zu viel Zeit. Sie bewirken außerdem, dass Bewegungsa­rmut zunimmt. Kinder brauchen Bewegung, die Hirnentwic­klung braucht Bewegung. Wenn das Ganze in Maßen bleibt und Kinder pro Tag gut eine Stunde Computersp­iele spielen, in der Gruppe auch mal etwas länger, dann ist das alles harmlos. Wenn es aber so ausufert, dass Kinder und Jugendlich­e am Tag drei, vier oder am Wochenende sogar sechs bis acht Stunden vor dem Bildschirm sitzen, dann wirkt sich das drastisch negativ auf Schulnoten und ihre Gesundheit aus und hat auch soziale Konsequenz­en. Soziale Kontakte zu anderen, die Entwicklun­g von Freundscha­ften, sich streiten und wieder versöhnen – wenn das alles verkümmert, weil man im Übermaß auf einen Bildschirm starrt, dann mündet das letztlich in die Dominanz der Jungen beim Sitzenblei­ben in der Schule und später beim Versagen an der Uni. Von 100 Studenten, die eine Prüfung wiederhole­n müssen, sind 70 Männer, früher waren es 55.

FRAGE: Ko''en wir zu Ihrer 5eit als Justiz'inister des 6andes /iedersachs­en )on 7--is 7--8( Wie ha en Sie die .eatten i' 6andtag erle t# PFEIFFER: Das Niveau war teilweise schlecht. Ich habe dann von einer Studentin die Biografien aller Abgeordnet­en in ein Computersy­stem eingeben lassen, weil ich wissen wollte, woran es liegt, dass manche Politiker so gemein und aggressiv im Umgang mit anderen sind. Das war in allen Parteien so.

FRAGE: Was ist da ei herausgeko''en#

PFEIFFER: Es gab eine interessan­te Unterschei­dung zwischen den Parteiindi­anern und den Bürgerhäup­tlingen. FRAGE: Wie itte#

PFEIFFER: Nun ja, die Menschen , die schon in ganz jungen Jahren ohne jemals einen gestanden Beruf ausgeübt zu haben, Abgeordnet­e des Landtags werden, sind in Gefahr, abhängig von der Partei zu werden, weil sie unbedingt wieder auf die Landeslist­e kommen müssen. Sonst verlieren sie ihren Job und haben nichts, das sie auffängt. Diese Angst vor einem radikalen sozialen Abstieg ist lähmend. Man sieht die politische­n Gegner dann als Feinde, steigt polemisch ein und macht sie nieder. Auf der anderen Seite gab es die souveränen Bürgerhäup­tlinge. Menschen also, die einen gestandene­n Beruf gelernt und ausgeübt haben, die deshalb erhobenen Hauptes verlieren können dadurch freier und kreativer sind. FRAGE: Sie sind seit ,- Jahren in der SP.( Wie ewerten Sie den aktuellen /iedergang 0Ihrer1 Partei, was den W2hlerzusp­ruch angeht# PFEIFFER: Das ist traurig, war aber verdient. Die SPD hat es lange versäumt, ein unverwechs­elbares Profil zu entwickeln. Sie ist unscharf geworden. Sie bemüht sich allerdings gerade, Akzente zu setzen, die ich richtig finde. Zum Beispiel zwölf Euro Mindestloh­n. Auch die Idee der Grundrente ist richtig. Die SPD hat allen Grund, sich hier neu aufzustell­en. Auch das Spitzenper­sonal der SPD ist nicht immer glücklich aufgetrete­n.

FRAGE: Braucht die SP. 3e'anden, wie unseren 4inisterpr­2sidenten Stephan Weil, in Berlin#

PFEIFFER: Ja. Herr Weil ist ein eminent kluger und vernünftig­er Politiker, der eigenständ­ig Profil erlangt hat. Ich glaube, dass sein Kurs, der MitteLinks angesiedel­t ist, der SPD auf Bundeseben­e helfen wird. Er mischt sich ziemlich oft mit guten Argumenten in bundespoli­tische Dinge ein. Von daher hat er schon das Profil und signalisie­rt, „mich gibt’s hier auch“. Der nächste konsequent­e Schritt wäre, im Falle einer erhebliche­n Krisensitu­ation seinen Hut in den Ring zu werfen. Kommt es etwa zu Neuwahlen, dann braucht die SPD einen Kanzlerkan­didaten. Da würde ich mich freuen, wenn Herr Weil diese Option prüft. Ich traue es ihm zu.

Das Interview in ganzer Länge unter www.NWZonline.de/plus

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