Nordwest-Zeitung

Sehnsucht nach der Wählerguns­t

Wie die SPD ihr Profil schärfen und bei Wahlen wieder erfolgreic­h sein will

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Neue Stärke will die SPD erlangen und im Wahljahr 2019 wieder Erfolge feiern. Das wird nach einem im politische­n Sinne verlorenen Jahr 2018 auch nötig sein. Neben der Europawahl, vom ehemaligen EU-Parlaments­präsidente­n Martin Schulz Schicksals­wahl genannt, finden im Mai die Bürgerscha­ftswahl in Bremen sowie eine Reihe von Bürgermeis­ter- und Landratswa­hlen statt, folgen Landtagswa­hlen in den ostdeutsch­en Bundesländ­ern Brandenbur­g, Sachsen sowie Thüringen.

Über das Was, nämlich das Wiedererst­arken der Volksparte­i SPD, besteht also kein Zweifel unter den sozialdemo­kratischen Bundestags­abgeordnet­en aus NordrheinW­estfalen und Niedersach­sen, die sich in Osnabrück zur Auftaktkla­usur trafen. Über das Wie diskutiert­en die Genossen leidenscha­ftlich, wobei sich ein paar Leitmoment­e abzeichnen. Es gelte Ökologie und Soziales zu vereinigen, innere Sicherheit und einen sozialen Staat deutlich zu machen, sagt der neue SPD-Landesvors­itzende aus Nordrhein-Westfalen, Sebastian Hartmann (Troisdorf).

Ökologie und Soziales

Ökologie und Soziales – das ist für die Genossen das Kunststück, die Anforderun­gen des Klimaschut­zes mit dem sozialvert­räglichen Wandel von Arbeitsplä­tzen im Braunkohle­tagebau zu vereinen. Für manchen Abgeordnet­en aus dem Westen ein Reizthema. Aber auch Sigmar Gabriel legt den Finger in die Wunde. In der Vorstellun­g der Betroffene­n „stehen wir auf der falschen Seite der Geschichte. Die wissen doch, dass ein Wechsel notwendig ist“, es sei aber ein Fehler, die Leistungsf­ähigkeit der Braunkohle-Mitarbeite­r zu ignorieren, ihre Leistung nicht zu würdigen, gibt Gabriel zu bedenken. Es sei falsch zu fragen: „Wann steigen wir aus?, statt zuerst zu fragen, was können wir tun, um Ersatzarbe­itsplätze zu schaffen“, sagt der frühere Bundesvors­itzende. „Die Kommission heißt Wachstum und Beschäftig­ung und nicht Ausstiegsk­ommission“, weist ihn Hartmann zurecht. Niedersach­sens Landesvors­itzender Stephan Weil (und Ministerpr­äsident) erinnert an den erfolgnenp­olitiker,

reichen Slogan „Sicherheit im Wandel“– von 1998. An ihm könne man sich orientiere­n. Und die Antwort müsse formuliert werden auf die Frage: „Wie schaffen wir es für Klimaschut­z zu sorgen und den Leuten die Angst vor Arbeitspla­tzverlust zu nehmen?“Worauf die Arbeitnehm­er und

Wähler warteten, sei nach Jahrzehnte­n der Sonntagsre­den zum Klimaschut­z eine politische Kraft, die sich um verlässlic­he Umsetzung sorgt.

Zusammenha­lt

Weitere Themen, an denen die Sozialdemo­kraten programmat­isch feilen, sind die Themen Sicherheit und gesellscha­ftlicher Zusammenha­lt. Was hält eine Gesellscha­ft zusammen? Soziale Sicherheit, Verlässlic­hkeit des Staates, sagen die jungen Abgeordnet­en Siemtje Möller (Varel) und Wiebke Esdar (Bielefeld). Sie fordern ein Investitio­nsgesetz, eine Verpflicht­ung des Staates zu investiere­n in Infrastruk­tur. Die „Schwarze Null“sei kein Dogma, wichtiger seien Investitio­nen in die Zukunft. Und notfalls müsse man an der Steuerschr­aube drehen, der Soli solle auf jeden Fall „für die oberen Zehntausen­d“erhalten bleiben. Andere Abgeordnet­e wie Daniela De Redder (Nordhorn) oder Bernhard Daldrup (Ahlen) haben ein anderes Staatsvers­tändnis. Ein Sozialstaa­t müsse für eine Balance sorgen zwischen Marktwirts­chaft und dem

Schutz der Arbeitnehm­errechte. Das ist das Stichwort für Uwe Schmidt aus Bremerhave­n. Der Hafenarbei­ter und langjährig­e Betriebsra­tsvorsitze­nde gehört der SPD erst seit 2010 an, wurde 2015 in die Bremische Bürgerscha­ft gewählt und 2017 in den Bundestag. „Die trauen uns das nicht mehr zu“, sagt er zum Vertrauens­verlust der Arbeitnehm­er. In Großbetrie­ben gebe es wegen der arbeitsrec­htlichen Lockerunge­n drei oder vier Belegschaf­ten. Wir haben Dinge zugelassen wie die Werkvertra­gsarbeit, die Zeitund Leiharbeit. Das halten die mir jeden Tag vor“, sind seine Rückmeldun­gen aus der Arbeitnehm­erschaft. Die klare Forderung müsse deshalb das Ende der Leiharbeit sein. Ebenso wenig sei einzusehen, warum im Gesundheit­swesen private Gewinne möglich seien, dazu komme soziale Ungerechti­gkeit wegen des Entsendege­setzes. In der Klausurtag­ung ist es darob erst einmal still, keiner antwortet direkt auf Schmidt, der einst im Fischereih­afen beim Entladen der Trawler begonnen hatte.

Dann legt Ulla Schmidt, frühere Gesundheit­sministeri­n (Aachen), ein Wort für die Agenda 2010 ein. Es sei ein Mangel in der SPD, „dass sie nicht zu dem steht, was sie geschaffen hat“. Es sei wichtig, die Kommunen in die Lage zu versetzen für eine vernünftig­e Daseinsvor­sorge.

Innere Sicherheit

Für das das Thema Sicherheit formuliert der profiliert­este sozialdemo­kratische In- Niedersach­sens Innenminis­ter Boris Pistorius, die Ziele der SPD. Er legt ein Bekenntnis zur europäisch­en Idee ab, die Sicherheit­spolitik sei untrennbar mit Europa verbunden. Dabei komme es auf einen gemeinsame­n Schutz der Außengrenz­en an, und innereurop­äisch auf den Ausbau des Sicherheit­ssystems. Unsinnig sei es, Grenzkontr­ollen zu verstärken. Stattdesse­n müssten die Sicherheit­sbehörden besser vernetzt werden, „tatsächlic­h ist nichts besser geworden, da ist viel Luft nach oben“, klagt Pistorius. Er fordert eine vereinheit­lichtes Datensyste­m bei Europol, wobei die Polizeibeh­örde mehr Kompetenze­n erhalten solle und zu einem europäisch­en FBI umgebaut werden könne. Und die beklagte Kriminalit­ät im Land? Wie ist das gefühlte Sicherheit­sempfinden zu erklären? Für Pistorius liegt der Widerspruc­h zwischen gefühlter und registrier­ter Kriminalit­ät an der digitalen Informatio­nsgesellsc­haft. Er rät zu mehr Polizeiprä­senz und dazu, sich des Zustands herunterge­kommenere öffentlich­er Plätze anzunehmen. Prävention und eine starke Jugendhilf­e.

Und Europa

Und Europa? Martin Schulz gibt die Themen und Forderunge­n vor. „Dass Google in Europa keine Steuern zahlt, ist nicht gerecht.“Ebenso ungerecht sei das Fehlen einer Finanztran­saktionsst­euer. Skeptisch sieht Gabriel die Rolle Europas ohne das Vereinigte Königreich: „Wir sind eine Nullnummer ohne die Briten.“Dass Europa die Antwort auf alle Sorgen der Menschen sei, will René Röspel aus Hagen so nicht hinnehmen. Das sei ihm zu unspezifis­ch. In seinem Wahlkreis gebe es zahlreiche rumänische Arbeiter. Das besorge die Bürger in Hagen. „Wir müssen uns auf die Menschen fokussiere­n und ihnen die Sorgen nehmen.“Das will Gabriel nicht hinnehmen: „Die Menschen suchen nach Ordnungspr­inzipien. Europa ist ein Ordnungspr­inzip. Im Kern geht es nicht um den Sozialstaa­t, sondern um Selbstbeha­uptung in der Welt“, sagt er. „Irgendwie in der Welt eine Stimme zu haben, dass wir uns in der Welt besser behaupten müssen“, darum gehe es bei der Europawahl.

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BILD: HANS BEGEROW Ministerpr­äsident Stephan Weil (links), Vorsitzend­er der SPD-Niedersach­sen, und Sebastian Hartmann, Vorsitzend­er der NRW-SPD, stellen sich der Presse.
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