Unruhestifter wider Willen
Warum Mesut Özil am liebsten einfach nur Fußball spielen würde
Özil fügte sich in seinen Teams stets klaglos ein. Abseits des Platzes gab er jedoch alles willfährig in fremde Hände.
LONDON/BERLIN – Es ist ein Satz, den Mesut Özil bei vielen Gelegenheiten gesagt hat: „Ich bin kein Unruhestifter!“Das klarzustellen, war dem Fußballer immer wichtig. Und wer das weiß, kann sich vorstellen, dass Özil sich seit dem 14. Mai sehr unwohl gefühlt haben muss. Als Unruhestifter wider Willen. Als Streitobjekt.
Im Kreise der Mannschaft hat er nämlich stets nach seinem Prinzip gehandelt. Obwohl er immer wieder betonte, ein klassischer Spielmacher sein zu wollen, wich er klaglos auf Aushilfsjobs aus. Beim Gewinn der U-21-EM 2009 hatte ihn Horst Hrubesch in den Sturm beordert. Beim WM-Triumph 2014 spielte er auf der linken Außenbahn. „Aber so waren wir ja erfolgreich“, sagte Özil.
Auch der erwachsene Mesut Özil, der Weltstar, wollte vor allem eines: spielen. „Wenn ich einen Ball sehe, muss ich einfach kicken“, erzählte er mit funkelnden Augen: „Dann bin ich noch der kleine Mesut von damals.“
Immer, wenn er genau das tat und durfte, war er am besten. Ein sogenannter Unterschiedsspieler. Auch deshalb war er immer Trainer-Liebling. Nicht nur bei Bundestrainer Joachim Löw. „Es gibt keine Kopie von Özil, nicht mal eine schlechte“, sagte José Mourinho einst. Und Arsène Wenger stellte fest: „Wer Özils Spiel nicht liebt, liebt den Fußball nicht.“
Ungeliebte Schattenseite
Doch weil er so gut kicken konnte, wurde Mesut Özil zu einer öffentlichen Person – und führte als Schattenseite auch ein Leben, das er nie führen wollte. Und in dem er sich sichtlich unwohl fühlte.
Auch deshalb gab er alles, was abseits des Rasens spielte, oft allzu willfährig in fremde Hände. Und alle, mit denen er auf diese Weise zusammenarbeitete, hatten anderes mit ihm vor. Sein Vater Mustafa verhandelte im Namen seines damals gerade den Juniorenteams entwachsenen Sohnes so hart, dass Özil im Boulevard als „Raffzahn“tituliert wurde. Später trennten sich Vater und Sohn beruflich im Streit, persönlich ist der Kontakt bis heute angespannt.
Özils Berater ist seit einiger Zeit Erkut Sögüt über die Firma „Özil Management“, zu der auch Bruder Mutlu Özil und Cousin Serdar gehören. Sögüt, ein promovierter Sportjurist und lizenzierter Spielerberater aus Hannover, wird zugleich als Team-Mitglied bei der Agentur ARP Sportmarketing geführt. Deren Geschäftsführer ist Harun Arslan, der Berater des Bundestrainers. Das machte alle Löw-Entscheidungen über Özil zuletzt immer brisanter.
Medienarbeit war für Özil eine Qual. Er mag wenig über sich erzählen, über die beiden Herzen, die in seiner Brust schlagen. Sein Vater Mustafa sagte der „Bild“-Zeitung: „Er ist 80 Prozent deutsch, 20 Prozent türkisch.“
Deshalb hat er sich dafür entschieden, für Deutschland zu spielen. Eine Entscheidung, die ihn große Überwindung gekostet hat. 2007 erklärte Mustafa Özil, dass auch er dafür angefeindet wurde: „Auch mein eigener Schwager hat dagegen protestiert, dass Mesut für den DFB spielt.“
Kein Aufklärer
Weil die Entscheidung so brisant war, hat Özil nie die Forderungen nach klaren Bekenntnissen zum DFB verstanden. Auch nie die Diskussion darüber, dass er die Hymne nicht mitsingt. Doch zur Aufklärung hat er selten beigetragen. Denn auch Botschafter war nicht die Rolle des Mesut Özil. Sein persönliches Handeln war geprägt von einer Devise: Er wollte es allen recht machen.
In diesem Bestreben hat er sich nun verheddert. Selbst in seiner dreiteiligen Erklärung am Sonntag fehlen Einsicht bezüglich des Fehlers und Distanzierung von der Politik Erdogans. Die Erklärungen hat er wohl nicht selbst verfasst, aber abgesegnet. Aus eigenem Antrieb hätte er den Vorstoß kaum gewagt.