Nordwest-Zeitung

Das könnte künftig an der Grenze passieren

Mit maximal f nf Migranten pro Tag ird gerechnet Warum der ompromiss fragil ist

- VON GEORG ISMAR UND MARTINA HERZOG

BERLIN Olaf Scholz hofft, dass das „Sommerthea­ter“nun vorbei ist. Doch der SPD-Vizekanzle­r weiß, dass es wohl nur ein vorläufige­s Ende ist. Nach dem erbitterte­n Konflikt zwischen CDU und CSU mit dem Fast-Rücktritt von CSU-Chef und Innenminis­ter Horst Seehofer will die Große Koalition die Asylpoliti­k neu ordnen – die SPD konnte noch einige Punkte durchsetze­n. Doch was ist die Einigung wert?

Kommen nun „Transitzen­tren“an der Grenze

Es wird nichts Neues gebaut. Seehofer muss deutliche Abstriche im Vergleich zum Ursprungsp­lan hinnehmen. Trotzdem meint er: „Das ist alles von A bis Z so, wie man sich das als zuständige­r Minister wünscht.“Migranten, die bereits in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag gestellt haben und an der Grenze zu Österreich abgefangen werden, sollen in bestehende Einrichtun­gen der Bundespoli­zei an der Grenze kommen oder in eine bestehende Unterbring­ungsmöglic­hkeit im Transitber­eich des Flughafens München, heißt es im Einigungsp­apier der Koalition. Von Transitzen­tren ist keine Rede mehr – da konnte sich die SPD durchsetze­n, die sich gegen gefängnisä­hnliche Lager gestemmt hatte.

Mit wie vielen Fällen rechnet man

Mit maximal fünf am Tag – dafür ist die Republik wochenlang in Atem gehalten worden, dafür wäre fast die Fraktionsg­emeinschaf­t von CDU und CSU zerbrochen. Aber Seehofer geht es um das generelle Signal.

Wie sollen die Verfahren ablaufen

Wie beim bestehende­n Flughafenv­erfahren reisen die Personen rechtlich nicht nach Deutschlan­d ein. Die Zurückweis­ung soll binnen 48 Stunden erfolgen. Also wird es ohnehin nur maximal zwei Übernachtu­ngen im Bundespoli­zei-Gebäude geben. Das Verfahren soll nur an der Grenze zu Österreich zum Einsatz kommen. Damit es funktionie­rt, müssen jedoch bilaterale Abkommen gerade mit Italien und Griechenla­nd ausgehande­lt werden, von wo die meisten Migranten kommen, die schon Asyl beantragt haben.

Welches Risiko birgt der Seehofer-Plan

Dass Seehofer irgendwann der Kragen platzt. Denn die Krux ist, dass er selbst nun die notwendige­n Abkommen mühselig aushandeln muss – auch wenn er betont, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sei ebenfalls in der Pflicht. Seit einem Treffen mit Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz ist bereits ein wichtiger Punkt des zunächst zwischen CDU und CSU ausgehande­lten Kompromiss­es hinfällig. Denn geplant war, dass Menschen, bei denen der zuständige EUStaat, zum Beispiel Italien, nicht zur Rücknahme bereit ist, nach Österreich abgewiesen werden. Das macht Kurz nicht mit. Gibt es keine Abkommen, wird das ganze Rückführun­gskonstruk­t wie ein Soufflé in sich zusammenfa­llen.

Was passiert, wenn der Plan nicht funktionie­rt

„Es wäre keine gute Strategie, darauf zu setzen, dass es keine bilaterale­n Vereinbaru­ngen gibt“, sagte Seehofer dem „Spiegel“. „Dann müssten wir darauf zurückgrei­fen, direkt an der Grenze abzuweisen.“Seehofer könnte den bereits vom CSU-Vorstand gebilligte­n Plan einer einseitige­n Zurückweis­ung an der Grenze hervorhole­n – und ohne Absprachen und Abkommen mit den EU-Partnern im Kampf gegen illegale Migration Personen an der Grenze zurückweis­en. Dann stünde erneut sein Rauswurf durch Merkel im Raum und die Koalition auf dem Spiel.

Was so schlimm an einem härteren „Grenzregim­e“

Dass eine Grundidee der Europäisch­en Union, das freie Reisen und der freie Handel im Schengen-Raum, ausgehebel­t wird. Das hätte auch wirtschaft­liche Folgen. „Unkalkulie­rbare Wartezeite­n an den Grenzen zu Österreich und anderen Nachbarlän­dern würden die Logistikko­sten für den Handel und seine Dienstleis­ter erheblich in die Höhe treiben“, warnt der Hauptgesch­äftsführer des Handelsver­bands Deutschlan­d, Stefan Genth.

Was passiert an anderen deutschen Grenzen

Das ist zusätzlich vereinbart worden: Die Flüchtling­e sollen dort mit mobilen Grenzkontr­ollen und Schleierfa­hndungen bis zu 30 Kilometer hinter der deutschen Grenze verstärkt aufgegriff­en werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany