Damit Bambi nicht sterben muss
Wildtierretter suchen Wiesen nach Rehkitzen ab – Zusammenarbeit mit Jägern und Bauern
Ver allem im Mai und Juni sind die 6ierschützer gefordert und absolvieren diverse Einsätze. Geortet wird der Rehnachwuchs im Gras oft mit Sensortechnik.
EDEWECHT/OLDENBURG „Es ist ein tolles Gefühl, wenn jemand von uns ein Rehkitz gefunden hat. Dieses Jungtier haben wir zu 99 Prozent vor dem sicheren Tod bewahrt“, sagt Nicole Buchholz. Eitelkeiten gäbe es in der Gruppe nicht. Man freue sich einfach mit den anderen und vor allem für das Tier. Die Edewechterin gehört zusammen mit ihrem Bruder Sven Berg und dessen Freundin Michaela Wederhake aus Apen zu den Gründern der Wildtierrettung „Wilde Herzen“Ammerland. Deren Mitglieder suchen Weiden vor dem Mähen systematisch nach Rehkitzen ab.
Es war ein schreckliches und zugleich nachhaltiges Erlebnis, das die Initialzündung für das Engagement der Wildretter war. Sven Berg war mit seinem Hund damals durch die Felder gestreift und hatte auf einmal ein markdurchdringendes Schreien gehört: Ein Rehkitz war bei Mäharbeiten lebensgefährlich verletzt worden. Das hatte den Edewechter derart aufgewühlt, dass er zunächst allein, später mit seiner Freundin Michaela und Schwester Nicole und dann mit Gleichgesinnten, die man über Facebook fand, durch das hohe Gras der Wiesen lief, um Rehkitze zu retten. In Gesprächen mit Landwirten hatte Sven Berg nämlich erfahren, dass der blutige Tod durch Mäharbeiten an der Tagesordnung sei.
Das hohe Gras der Weiden bietet Rehkitzen im späten Frühjahr Schutz. Anstatt zu fliehen, pressen sich die Tiere bei Gefahr ganz eng auf den Boden und vertrauen auf ihre hervorragende Tarnung, die das Finden des Rehnachwuchses auch schwierig macht. So werden viele Rehkitze vor allem in den ersten Lebenswochen getötet – durch den Fuchs, vor allem aber durch Mäharbeiten.
Die Fahrer in der Kabine der großen Landmaschinen, die Mähbalken bis zu zwölf Meter haben und mit einer Geschwindigkeit von rund 20 Stundenkilometern über die Weide fahren, können die Tiere im dichten Gras gar nicht oder erst zu spät sehen.
Nur durch das frühzeitige Entdecken haben Rehkitze jedoch Überlebenschancen.
„Deshalb suchen wir vor der Mahd die Weiden systematisch ab und arbeiten dabei eng mit den Landwirten und der Jägerschaft zusammen“,
sagt Nicole Buchholz. Kurzfristig, wenn sie relativ sichere Wetterprognosen für die nächsten Tage hätten, meldeten sich die Landwirte bei ihnen. „Das kann durch-
aus abends gegen 20 oder 21 Uhr sein, wenn der Landwirt ankündigt, dass er am nächsten Tag mähen will, und so sind wir dann am frühen Morgen gefordert.“Manchmal sei man jedoch auch am späten Abend im Einsatz. Über eine WhatsApp-Gruppe werden die Helfer mobilisiert. „Viele von uns sind berufstätig und gehen in ihrer Freizeit mit auf die oft mehrstündige Rehkitzsuche. Einige haben sogar Heuschnupfen, aber allen ist das Engagement für die Rehkitze sehr wichtig.“
In Abständen von einem bis eineinhalb Meter durchstreift die Gruppe das hohe Gras. Dabei setze man früh morgens und spät abends vier ISA-Wildretter im Wert von 7600 Euro ein, die die Gruppe dank der Bingo-Stiftung anschaffen konnte. Mit diesen Sensorgeräten in Stabform kann man auf einer Breite von sieben Metern den Boden nach Wärmequellen absuchen. So können die schwer zu findenden Liegestellen der Rehkitze leichter entdeckt werden.
„Durch viele Gespräche mit Jägern haben wir erfahren, auf was wir alles achten müssen“, so Nicole Buchholz. Auch sie habe anfangs nicht gewusst, dass man ein gesundes Kitz auf keinen Fall anfas-
sen solle, weil die Ricke durch die menschlichen Gerüche es dann nicht mehr annehme.
Wenn die ISA-Wildretter witterungsbedingt nicht eingesetzt werden können, wird mit bloßem Auge und einem Stock gesucht, mit dem das hohe Gras zur Seite gedrückt wird.
Habe man ein Kitz entdeckt, würde über das Tier ein ausrangierter großer Brotkorb gestülpt und der Fundort mit einer Stange markiert. Anschließend werde der Landwirt informiert, der bei den Mäharbeiten um den Korb herumfahre. Wenn die Arbeiten beendet seien, werde der Korb entfernt. „Oft bleibt die Ricke in der Nähe, manchmal sieht man sie sogar. Wenn der Korb entfernt ist, schauen wir nach, ob das Kitz noch am Fundort liegt oder von seiner Mutter abgeholt wurde“, erläutert Michaela Wederhake. 16 Kitze wurden 2017 vor dem Mähtod gerettet, dieses Jahr waren es bereits 17.
Manchmal sind die Wildretter, die sich auch um verletzte Igel kümmern und künftig mehr für die heimische Vogelwelt tun möchten, gefordert, wenn ein Kitz seine Mutter verloren hat. „Das war jetzt in Süddorf der Fall, als die Ricke bei einem Autounfall getötet worden war.“Süddorfer hatten sich nicht nur bei einem Bekannten, der Jäger sei, gemeldet, sondern auch bei der Wildtierrettung, berichtet Nicole Buchholz. Mehrere Tage hatten die Süddorfer das Geschrei eines Kitzes gehört, plötzlich stand das Tier im Garten. „Man kann das Kitz jedoch nicht einfach nehmen und sich selbst darum kümmern. Viele Absprachen mit der Jägerschaft sind nötig.“Im Süddorfer Fall werde das Tier nun von Hand aufgezogen.
c@ Ein spektakuläres Video sehen Sie unter https://www.facebook.com/NWZAmmerland/videos/1617176348587347/