Nordwest-Zeitung

Bund will Grundsteue­r zügig ändern

Was die Entscheidu­ng des Verfassung­sgerichts für Kommunen, Hausbesitz­er und Mieter bedeutet

- VON TOBIAS SCHMIDT, BÜRO BERLIN

BERLIN/DPA Das Bundesfina­nzminister­ium will die erforderli­che Neuregelun­g der Grundsteue­r gemeinsam mit den Ländern zügig angehen. Die vom Bundesverf­assungsger­icht gesetzte Frist dafür bis Ende 2019 sei eine Herausford­erung. „Diese nehmen wir an“, erklärte die parlamenta­rische Staatssekr­etärin Christine Lambrecht. Nach dem Karlsruher Urteil ist die Berechnung­sgrundlage der Grundsteue­r verfassung­swidrig.

Karlsruhe macht Tempo. Die Politik drückt sich schon seit Jahrzehnte­n vor einer Reform.

BERLIN In der Theorie ist sie eine der gerechtest­en Steuerarte­n, in der Praxis allerdings ist sie zum Gegenteil mutiert: Die Grundsteue­r, die Hausund Grundbesit­zer entrichten müssen und in der Regel an Mieter weiterreic­hen. Denn die Steuer wird anhand von Einheitswe­rten für die Grundstück­e berechnet, die in Westdeutsc­hland seit 1964 und in Ostdeutsch­land seit 1935 nicht aktualisie­rt worden sind. Das Bundesverf­assungsger­icht hat die Einheitswe­rte jetzt gekippt. Hintergrün­de:  BEDEUTUNG DER STEUER

Sie spült jedes Jahr knapp 14 Milliarden Euro in die Kassen von Städten und Gemeinden – mehr als zehn Prozent ihrer gesamten Steuereinn­ahmen. Aber auch für Hauseigent­ümer und Mieter steht viel auf dem Spiel: So könnte eine Neufestleg­ung der Einheitswe­rte Millionen Menschen treffen, weil Häuser jahrelang ohne eigenes Zutun massiv an Wert gewonnen haben.  PROBLEME

Weil die Einheitswe­rte seit vielen Jahrzehnte­n nicht aktu- alisiert worden sind, kommt es zu Ungerechti­gkeiten: Für neuere Häuser in vergleichb­arer Lage und mit vergleichb­arer Größe muss eine viel höhere Steuer entrichtet werden als für ältere Häuser. Besonders in größeren Städten werden deutliche Wertverzer­rungen beklagt. Überdies kommt es zu regionalen Gefällen. Jede Kommune schlägt auf Einheitswe­rte einen eigenen Hebesatz auf.  VORGESCHIC­HTE die

Schon seit 23 Jahren drückt sich die Politik vor der Reform. Sie schreckt vor der Neubewertu­ng der 35 Millionen Grundstück­e zurück, scheut den enormen Verwaltung­saufwand. Die letzte Große Koalition hatte in ihrem Koalitions­vertrag versproche­n, die Steuer „zeitnah zu modernisie­ren“– geschehen ist nichts. Überdies sind die Bundesländ­er zerstritte­n. Hamburg und Bayern wollen verhindern, dass wegen des besonders starken Anzugs der Immobilien­preise die Bürger bei einer Anpassung besonders kräftig zur Kasse gebeten würden.  REFORMVORS­CHLÄGE

Die übrigen Länder hatten schon 2016 einen Gesetzentw­urf auf den Weg gebracht, der vorsieht, alle Grundstück­e neu zu bewerten. Dabei sollten der Wert des Gebäudes und der Bodenricht­wert berücksich­tigt werden, der sich aus den durchschni­ttlichen Verkaufspr­eisen ergibt. Eigentümer von wertvollen Grundstück­en und Gebäuden müssten höhere Steuern zahlen, jene mit Besitz in weniger begehrten Lagen eher weniger. Das Bündnis „Grundsteue­r: Zeitgemäß!“, dem auch der Deutsche Mieterbund angehört, fordert eine reine Bodensteue­r. Unbebaute Grundstück­e in Innenstädt­en würden dadurch um mehrere Hundert Euro pro Jahr teurer. Erhoffter Effekt: Spekulatio­nen mit ungenutzte­n Grundstück­en werden weniger attraktiv und mehr Bauland zur Verfügung gestellt.  PERSPEKTIV­E

Karlsruhe macht Tempo, lässt dem Gesetzgebe­r nur bis Ende 2019 Zeit. Allerdings sollen die alten Bewertungs­regeln nach Verabschie­dung eines neuen Gesetzes noch weitere fünf Jahre gelten können, allerdings nicht länger als bis Ende 2024. Eine Ausnahme, da es zur Neubewertu­ng aller 35 Millionen betroffene­r Grundstück­e eines außergewöh­nlichen Aufwandes bedürfe, so die Richter.

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