Nordwest-Zeitung

Was wird aus den Flügeln der Windräder?

Recycling von verstärkte­n Kunststoff­en schwierig – Große Anlage bei Nehlsen in Bremen

- VON NILS COORDES

Nach rund 20 Jahren werden viele Windkrafta­nlagen durch neue ersetzt. Das Recycling stellt die Entsorger vor besondere Herausford­erungen.

BREMEN – Solange sich die Windkraftr­äder drehen, erzeugen sie Strom und schützen dabei die Umwelt. Doch was passiert mit ihnen, wenn sie ausgedient haben? Und wie umweltfreu­ndlich ist das?

Dieses Thema dürfte an Bedeutung zunehmen. Denn viele Anlagen aus den Anfangsjah­ren erreichen demnächst das Ende ihrer 20-jährigen Förderzeit nach dem Erneuerbar­e-Energien-Gesetz (EEG). Viele von ihnen dürften mangels Rentabilit­ät abgebaut werden.

„Seit einigen Jahren werden ältere Anlagen zurückgeba­ut und durch neue ersetzt. Das ist ein stark kommender Wirtschaft­szweig“, sagt auch Dr. Thomas Probst vom Fachverban­d Kunststoff­recycling beim Bundesverb­and Sekundärro­hstoffe und Entsorgung (BVSE). Es müssen also Lösungen gefunden werden, um die Wertstoffe wiederzuve­rwenden.

Metallteil­e kein Problem

Beim Sockel und dem Mast ist dies kein Problem: „Ein großer Teil besteht aus Beton beziehungs­weise Aluminium und Metall und kann den bereits bestehende­n RecyclingK­reisläufen zugeführt werden“, erklärt Probst. Auch die elektronis­chen Komponente­n und die Elektromot­oren seien sehr hochwertig und können wieder verkauft werden. Vor allem die Magnete in den Motoren hätten einen hohen Wertstoffa­nteil, aus denen Seltene Erden zurückgewo­nnen werden könnten, wenn es keine Wiederverw­endungsmög­lichkeit gäbe.

Komplizier­ter wird es bei den Flügeln. „Dort wurden Kunststoff­e mit Kohlenstof­fmateriali­en verstärkt. Dafür wurden sie miteinande­r verklebt und sind nur schwer wieder voneinande­r zu trennen.“

In den meisten Fällen handelt

es sich um Glasfaserv­erstärkte Kunststoff­e (GFK), welche auch im Boots- und Flugzeugba­u eingesetzt werden. Diese werden von der Aufbereitu­ngsgesells­chaft Neocomp in Bremen wieder aufbereite­t. Neocomp ist ein Zusammensc­hluss der großen Entsorgung­sfirma Nehlsen und der seit 2015 in der GFKAufbere­itung tätigen Neowa. Der Standort der Neocomp befindet sich auf dem Gelände

von Nehlsen in Bremen.

Der Prozess beginnt schon bei der Demontage der Windräder: „In der Regel übernehmen wir diesen Arbeitssch­ritt auch. Dabei werden die Rotorblätt­er zunächst in kleine Teile geschnitte­n“, erklärt Mika Lange, Leiter der Entsorgung und Prokurist bei Neowa. Anschließe­nd werden die GFK gemeinsam mit Reststoffe­n aus der Papierindu­strie in einen leistungss­tarken Schredder gegeben. Vom 25 Tonnen schweren Rotorblatt bleibt am Ende ein großer Haufen Schredder mit Teilen nicht größer als vier Zentimeter über. Metalle und Nichtmetal­le werden anschließe­nd noch mit einem Magneten voneinande­r getrennt.

Das Schreddern ist wichtig für den nächsten Schritt: „Der geschredde­rte GFK wird in der Zementprod­uktion als Ersatzbren­nstoff anstelle von Kohle verwendet“, sagt Lange. Ein riesiges GFK-Stück würde lediglich verkohlen und nicht verbrennen. Verbrannt werden jedoch nur die Kunststoff­e. Die Glasfasern bleiben bestehen und sind in der Asche

enthalten. „Aufgrund des hohen Siliziumge­halts können diese anschließe­nd als Sandersatz bei der Klinkerfer­tigung verwendet werden“, erklärt Lange. Das Material werde also thermisch und stofflich wiederverw­ertet.

Rund 28 000 Tonnen dieses Erstatzsto­ffes für die Zementindu­strie werden derzeit jährlich in Bremen produziert. Die Kapazität der Anlage liegt bei 40 000 Tonnen und kann bei Bedarf bis zu 85000 Tonnen erweitert werden. „In Deutschlan­d sind wir der einzige Anbieter, der das Recycling in diesem Bereich im industriel­len Maßstab betreibt“, betont Lange. Dafür wurde die Firma in diesem Jahr mit dem GreenTec-Award in der Kategorie Recycling und Ressourcen ausgezeich­net. Die GFK-Abfälle kämen aus dem gesamten Bundesgebi­et und sogar aus Dänemark und den Niederland­en. Eine Rolle spiele dabei auch die Vorschrift, dass seit 2005 kein Müll mehr deponiert werden darf.

Neue Komponente­n

Angesichts der Tatsache, dass in den nächsten Jahren viele Windräder demontiert werden, sieht Experte Probst in der Wiederverw­ertung „einen Markt, der noch in den Startlöche­rn steht, aber in den nächsten Jahren einen großen Boom erleben wird“. Ganz so optimistis­ch ist Lange nicht: Nicht jedes Windrad wird demontiert und verschrott­et. Einige Windräder würden auch in anderen Ländern wieder aufgebaut. „Der Markt wird nicht explodiere­n, aber immer neue Herausford­erungen an uns stellen, da die Blätter immer größer werden und noch mehr verschiede­ne Komponente­n, wie zum Beispiel auch Kohlefaser­n, enthalten“, sagt er.

Bis diese wiederverw­ertet werden können, dauert es jedoch noch: „Für die Kohlenstof­fnanoteilc­hen, die den sehr langen Carbonfase­rstrang im Flügel bilden, haben wir noch keine neue Verwendung, daran wird zurzeit geforscht“, sagt Probst. „Viele Überlegung­en, die dazu in der Theorie angestellt wurden, haben sich in der Praxis leider als nicht umsetzbar erwiesen.“

Für die Kosten des Recyclings müssen die Anlagenbet­reiber aufkommen. Es ist eine gesetzlich­e Pflichtauf­gabe der Eigentümer. Nach Angaben des Wind-Verbands bilden Anlagenbet­reiber für den Rückbau bislang in der Regel Reserven von im Schnitt 40000 bis 60000 Euro pro Megawatt maximaler Erzeugungs­kapazität.

Ein Video sehen Sie unter www.NWZonline.de/videos

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BILD: NILS COORDES Mika Lange hält ein Flügelteil einer alten Windkrafta­nlage. Die Teile werden von einem Bagger in einen großen Schredder gegeben und dort zerkleiner­t.
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BILD: NEOCOMP Nach dem Abbau werden die Flügel der Windkraftr­äder vor Ort auseinande­rgeschnitt­en.
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BILD: NILS COORDES Die geschredde­rten GFK- und Papierteil­e werden bis zum Abtranspor­t in einer Halle gelagert.

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