Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Einstehen für Freiheit und Recht
Demokratie braucht Medien, die verlässlich berichten – gerade in Zeiten, die geprägt sind von Krieg, Krisen, Populismus und Fake News.
Die NGZ wurde 1873 gegründet als Heimatzeitung mit einem klaren katholischen Profil. In der Probenummer vom 23. Dezember 1873 war es unmissverständlich auf der Titelseite zu lesen: „Bei dem Ernste des Kampfes, den im Augenblick die katholische Kirche zu bestehen hat“sei eine regelmäßige Publikation mehr als geboten, die „eine feste Stellung einzunehmen“habe, „und für uns Katholiken kann dieselbe nur an der Seite des Oberhauptes und der Bischöfe unserer heiligen Kirche gefunden werden.“
Es war die Zeit des „Kulturkampfes”, in dem Otto von Bismarck von 1871 bis 1887 versuchte, Kirche und Staat voneinander zu trennen und den politischen Einfluss der Kirche im Reich zu unterbinden. Aber sein Ziel, mit den kirchenpolitischen Maßnahmen das Zentrum und den politischen Katholizismus zu schwächen, erreichte der Reichskanzler nicht. Im Gegenteil, die Sanktionen und Diskriminierungen führten zu einem stärkeren Zusammenhalt der katholischen Bevölkerung – und zur Herausgabe der NGZ.
150 Jahre später leben wir inmitten einer Gesellschaft, in der die katholische Kirche in den letzten Jahren deutlich spürbar an Bedeutung verloren hat. Angesichts vieler Skandale und großer Fehler innerhalb der Kirche gibt es viele Menschen, die enttäuscht sind und Vertrauen verloren haben. Zehntausende sind in den vergangenen Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten.
Außerdem hat sich die Kirche zu lange mit sich selbst beschäftigt, statt sich zu fragen: Wozu sind wir Kirche? Was kann, ja muss die Kirche tun, damit ihr Menschen neues Vertrauen schenken oder wenigstens ihr Misstrauen nicht weiter zunimmt? Die Kirche muss offen mit ihrem Versagen umgehen und die Zeichen der Zeit erkennen. Dabei muss sie wieder mehr die Botschaft Jesu und damit die Menschen in den Mittelpunkt stellen. Und es muss deutlich werden, dass sich die Kirche berühren und verändern lässt durch die Begegnung mit den anderen, ja, dass sie lernbereit ist. Eine „Kirchenmitgliedschaftsstudie“hat kürzlich ergeben, dass 96 Prozent der befragten Katholiken in Deutschland fordern, Kirche müsse sich verändern. Im Rhein-Kreis Neuss dürfte der Prozentsatz ähnlich hoch sein. Dieses Faktum, diese Stimmung kann die Kirche nicht ignorieren oder innerkirchlich totschweigen. „Das Oberhaupt und die Bischöfe“müssen vielmehr die Zeichen der Zeit erkennen und daraus auch Schlüsse ziehen und handeln!
Zeichen der Zeit und handeln bezieht sich aber nicht nur auf innerkirchliche Reformbedarfe, sondern auch auf die aktuelle gesellschaftliche Wirklichkeit. „Für Wahrheit, Freiheit und Recht“, so lautete 1873 das Losungswort der neu erschienenen NGZ. Nicht nur für Christinnen und Christen (aber besonders für sie) gilt es auch heute noch, für diese drei Werte einzutreten und sie zu verteidigen, auch wenn es herausfordernd und kräftezehrend ist. Denn es sind Werte, die uns schon in den zehn Geboten und vor allem in der Frohen Botschaft Jesu begegnen: Wahrheit als Gegensatz von Falschheit und Lüge, Freiheit als Geschenk Gottes verbunden mit der Aufforderung zur Liebe sowie Recht und Gerechtigkeit als Garant für Berechenbarkeit und ein friedvolles Miteinander der Menschheitsfamilie.
Wie steht es heute um unseren Einsatz „Für Wahrheit, Freiheit und Recht“? Meine Wahrnehmung ist, dass wir – auch in unserem Land – immer wieder versucht sind, auf die Weltgeschehnisse als unbeteiligter Beobachter zu schauen, mit genügend Distanz zu den Ereignissen selbst. Man steht dann außerhalb des Geschehens, ob sich nun in der Welt Komödien, trumpeske Tragödien oder wahre Dramen abspielen, und glaubt, man wäre nicht beteiligt, obwohl man in Wirklichkeit sehr wohl beteiligt ist. Denn während die Welt ihren oft ziemlich schiefen Gang geht und wir versucht sind, es uns in unserem Sessel gemütlich machst, unternehmen wir oft nichts oder zu wenig dagegen, dass sich die Dinge in eine falsche Richtung bewegen.
Passiv zuzusehen scheint eine moderne Lebensweise zu werden. Das gemeinsame Leben – Gesellschaft, Umwelt, Demokratie, Globalisierung – das alles ist so kompliziert und unhandlich geworden, so unüberschaubar für den Einzelnen, dass man versucht ist, sich aus all dem abzumelden und passiv zuzuschauen, als wäre das Ganze reine Unterhaltung, die meine Beteiligung, meinen Einsatz nicht verlangt.
Einerseits ist die Aufklärung über den Zustand der Welt und die Not der Menschen, über Terror, Krieg und Hunger und Krankheit umfassender als jemals zuvor. Andererseits ist die Möglichkeit des Einzelnen, etwas dagegen zu unternehmen, scheinbar verschwindend gering. So erleben wir den Zustand der Welt durch die Medien – und das macht uns oft passiv.
Manche werden sogar zu Pessimisten ohne Hoffnung. Natürlich nicht alle, aber es ist eine Tendenz, und es ist eine einleuchtende Tendenz – Abstand halten, das alles nur nicht zu nah an heranlassen; ich kann sowieso nichts ändern.
Da ist das Massaker der Hamas, da sind die Bomben auf Israel und Gaza, die ertrinkenden Flüchtlinge im Mittelmeer, das Grauen eines ins dritte Jahr gegangenen russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, wachsender Antisemitismus auch in unserem Land, hohe Umfragewerte für eine in weiten Teilen rechtsextremistische Partei in einigen Bundesländern…
Abstand halten, das alles nur nicht zu nah an heranlassen, scheint da zu helfen. Nur hilft das überhaupt nichts! Die Welt wird nicht dadurch besser, dass wir passiv sind. Und wir selbst widersprechen dem, was Menschsein bedeutet, wenn wir uns nicht am gemeinsamen Leben beteiligen, wenn wir nicht aufstehen, wo die Menschenwürde mit den Füßen getreten, wo Krieg, Terror, Gewalt und Hetze die Oberhand haben.
Denn was ist ein Mensch? Wie wird ein Mensch er selbst? Er wird es, im sozialen aber auch im christlichen Sinn, indem er Verantwortung auf sich nimmt für seinen Mitmenschen, mit dem zusammenzuleben ihm aufgegeben ist – und zwar nicht nur im engsten, sondern im umfassendsten Sinne.
Die Verantwortung ist grenzenlos, es geht nur darum, dass wir, dass ich irgendwo anfange, an unserem, an meinem Ort – und dass wir dann unseren Blick weiten in Zeit und Raum – in die doch eigentlich wunderbar geschaffene Welt, und dass wir diese Welt mit uns selbst und mit unserem Leben bewahren.
Wenn ich in die Evangelien schaue, hat Jesus immer wieder die Art und Weise kritisiert, wie Menschen sich zueinander verhalten. Die Kälte, die zwischen ihnen herrschen konnte. Die Gleichgültigkeit, die Unterdrückung und Ausnutzung, die Lust zur Verurteilung. Die Eigenliebe in all ihren Schattierungen. Den Mangel an Mitgefühl. Wenn Jesus dazu auffordert, dass man seinen Nächsten lieben soll wie sich selbst, dann geht es um Mitgefühl, Sympathie mit dem Menschen außerhalb der Mauern, die einen umgeben. Es geht darum, dass wir vorbehaltlos lieben sollen.
Jesu Botschaft war universal. Er wollte, dass die Leute an das Recht der Barmherzigkeit glauben sollten. Dass niemand außerhalb der Reichweite der Liebe Gottes stand, und deshalb sollte auch niemand außerhalb der Reichweite der Liebe von Menschen stehen.
Und deshalb sind wir persönlich und als Zivilgesellschaft aufgefordert, ja geradezu verpflichtet in diesen Zeiten einzutreten für „Für Wahrheit, Freiheit und Recht“.
Auch in Neuss und den anderen Kommunen des Rhein-Kreises gibt es leider Intoleranz, Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Auch in Neuss gibt es Wahrheitsverdreher, politische Scharlatane, Islamisten und Propagandisten.
Gegen all diese Gefahren und Gefährder unserer Demokratie (Freiheit) und unserer demokratischen Grundordnung (Recht) müssen wir gemeinsam und als einzelne aufstehen und die Wahrheit sagen.
Der heilige Thomas von Aquin ist 600 Jahre vor der Gründung der NGZ gestorben. Von ihm stammt eine großartige Definition: „Wahrheit ist die Übereinstimmung zwischen dem, was wir denken, und dem, was ist.“Es gibt so viele Fake News, durch KI-erstellte Fotos, offensichtliche und öffentliche Lügen. Wie wichtig sind da Medien, die verlässlich berichten, was ist!
In diesem Sinne möge die NGZ auch in Zukunft ihrem 150-jährigen Einsatz „für Wahrheit, Freiheit und Recht“treu bleiben.
Gastautor Monsignore Robert Kleine (57) ist Kölner Domdechant, stellvertretender Domprobst und Stadtdechant von Köln. Der gebürtige Neusser marschiert in seiner Heimatstadt bei den Scheibenschützen mit und engagiert sich in der Bürgergesellschaft.