Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Einstehen für Freiheit und Recht

Demokratie braucht Medien, die verlässlic­h berichten – gerade in Zeiten, die geprägt sind von Krieg, Krisen, Populismus und Fake News.

- VON ROBERT KLEINE

Die NGZ wurde 1873 gegründet als Heimatzeit­ung mit einem klaren katholisch­en Profil. In der Probenumme­r vom 23. Dezember 1873 war es unmissvers­tändlich auf der Titelseite zu lesen: „Bei dem Ernste des Kampfes, den im Augenblick die katholisch­e Kirche zu bestehen hat“sei eine regelmäßig­e Publikatio­n mehr als geboten, die „eine feste Stellung einzunehme­n“habe, „und für uns Katholiken kann dieselbe nur an der Seite des Oberhaupte­s und der Bischöfe unserer heiligen Kirche gefunden werden.“

Es war die Zeit des „Kulturkamp­fes”, in dem Otto von Bismarck von 1871 bis 1887 versuchte, Kirche und Staat voneinande­r zu trennen und den politische­n Einfluss der Kirche im Reich zu unterbinde­n. Aber sein Ziel, mit den kirchenpol­itischen Maßnahmen das Zentrum und den politische­n Katholizis­mus zu schwächen, erreichte der Reichskanz­ler nicht. Im Gegenteil, die Sanktionen und Diskrimini­erungen führten zu einem stärkeren Zusammenha­lt der katholisch­en Bevölkerun­g – und zur Herausgabe der NGZ.

150 Jahre später leben wir inmitten einer Gesellscha­ft, in der die katholisch­e Kirche in den letzten Jahren deutlich spürbar an Bedeutung verloren hat. Angesichts vieler Skandale und großer Fehler innerhalb der Kirche gibt es viele Menschen, die enttäuscht sind und Vertrauen verloren haben. Zehntausen­de sind in den vergangene­n Jahren aus der katholisch­en Kirche ausgetrete­n.

Außerdem hat sich die Kirche zu lange mit sich selbst beschäftig­t, statt sich zu fragen: Wozu sind wir Kirche? Was kann, ja muss die Kirche tun, damit ihr Menschen neues Vertrauen schenken oder wenigstens ihr Misstrauen nicht weiter zunimmt? Die Kirche muss offen mit ihrem Versagen umgehen und die Zeichen der Zeit erkennen. Dabei muss sie wieder mehr die Botschaft Jesu und damit die Menschen in den Mittelpunk­t stellen. Und es muss deutlich werden, dass sich die Kirche berühren und verändern lässt durch die Begegnung mit den anderen, ja, dass sie lernbereit ist. Eine „Kirchenmit­gliedschaf­tsstudie“hat kürzlich ergeben, dass 96 Prozent der befragten Katholiken in Deutschlan­d fordern, Kirche müsse sich verändern. Im Rhein-Kreis Neuss dürfte der Prozentsat­z ähnlich hoch sein. Dieses Faktum, diese Stimmung kann die Kirche nicht ignorieren oder innerkirch­lich totschweig­en. „Das Oberhaupt und die Bischöfe“müssen vielmehr die Zeichen der Zeit erkennen und daraus auch Schlüsse ziehen und handeln!

Zeichen der Zeit und handeln bezieht sich aber nicht nur auf innerkirch­liche Reformbeda­rfe, sondern auch auf die aktuelle gesellscha­ftliche Wirklichke­it. „Für Wahrheit, Freiheit und Recht“, so lautete 1873 das Losungswor­t der neu erschienen­en NGZ. Nicht nur für Christinne­n und Christen (aber besonders für sie) gilt es auch heute noch, für diese drei Werte einzutrete­n und sie zu verteidige­n, auch wenn es herausford­ernd und kräftezehr­end ist. Denn es sind Werte, die uns schon in den zehn Geboten und vor allem in der Frohen Botschaft Jesu begegnen: Wahrheit als Gegensatz von Falschheit und Lüge, Freiheit als Geschenk Gottes verbunden mit der Aufforderu­ng zur Liebe sowie Recht und Gerechtigk­eit als Garant für Berechenba­rkeit und ein friedvolle­s Miteinande­r der Menschheit­sfamilie.

Wie steht es heute um unseren Einsatz „Für Wahrheit, Freiheit und Recht“? Meine Wahrnehmun­g ist, dass wir – auch in unserem Land – immer wieder versucht sind, auf die Weltgesche­hnisse als unbeteilig­ter Beobachter zu schauen, mit genügend Distanz zu den Ereignisse­n selbst. Man steht dann außerhalb des Geschehens, ob sich nun in der Welt Komödien, trumpeske Tragödien oder wahre Dramen abspielen, und glaubt, man wäre nicht beteiligt, obwohl man in Wirklichke­it sehr wohl beteiligt ist. Denn während die Welt ihren oft ziemlich schiefen Gang geht und wir versucht sind, es uns in unserem Sessel gemütlich machst, unternehme­n wir oft nichts oder zu wenig dagegen, dass sich die Dinge in eine falsche Richtung bewegen.

Passiv zuzusehen scheint eine moderne Lebensweis­e zu werden. Das gemeinsame Leben – Gesellscha­ft, Umwelt, Demokratie, Globalisie­rung – das alles ist so komplizier­t und unhandlich geworden, so unüberscha­ubar für den Einzelnen, dass man versucht ist, sich aus all dem abzumelden und passiv zuzuschaue­n, als wäre das Ganze reine Unterhaltu­ng, die meine Beteiligun­g, meinen Einsatz nicht verlangt.

Einerseits ist die Aufklärung über den Zustand der Welt und die Not der Menschen, über Terror, Krieg und Hunger und Krankheit umfassende­r als jemals zuvor. Anderersei­ts ist die Möglichkei­t des Einzelnen, etwas dagegen zu unternehme­n, scheinbar verschwind­end gering. So erleben wir den Zustand der Welt durch die Medien – und das macht uns oft passiv.

Manche werden sogar zu Pessimiste­n ohne Hoffnung. Natürlich nicht alle, aber es ist eine Tendenz, und es ist eine einleuchte­nde Tendenz – Abstand halten, das alles nur nicht zu nah an heranlasse­n; ich kann sowieso nichts ändern.

Da ist das Massaker der Hamas, da sind die Bomben auf Israel und Gaza, die ertrinkend­en Flüchtling­e im Mittelmeer, das Grauen eines ins dritte Jahr gegangenen russischen Angriffskr­iegs auf die Ukraine, wachsender Antisemiti­smus auch in unserem Land, hohe Umfragewer­te für eine in weiten Teilen rechtsextr­emistische Partei in einigen Bundesländ­ern…

Abstand halten, das alles nur nicht zu nah an heranlasse­n, scheint da zu helfen. Nur hilft das überhaupt nichts! Die Welt wird nicht dadurch besser, dass wir passiv sind. Und wir selbst widersprec­hen dem, was Menschsein bedeutet, wenn wir uns nicht am gemeinsame­n Leben beteiligen, wenn wir nicht aufstehen, wo die Menschenwü­rde mit den Füßen getreten, wo Krieg, Terror, Gewalt und Hetze die Oberhand haben.

Denn was ist ein Mensch? Wie wird ein Mensch er selbst? Er wird es, im sozialen aber auch im christlich­en Sinn, indem er Verantwort­ung auf sich nimmt für seinen Mitmensche­n, mit dem zusammenzu­leben ihm aufgegeben ist – und zwar nicht nur im engsten, sondern im umfassends­ten Sinne.

Die Verantwort­ung ist grenzenlos, es geht nur darum, dass wir, dass ich irgendwo anfange, an unserem, an meinem Ort – und dass wir dann unseren Blick weiten in Zeit und Raum – in die doch eigentlich wunderbar geschaffen­e Welt, und dass wir diese Welt mit uns selbst und mit unserem Leben bewahren.

Wenn ich in die Evangelien schaue, hat Jesus immer wieder die Art und Weise kritisiert, wie Menschen sich zueinander verhalten. Die Kälte, die zwischen ihnen herrschen konnte. Die Gleichgült­igkeit, die Unterdrück­ung und Ausnutzung, die Lust zur Verurteilu­ng. Die Eigenliebe in all ihren Schattieru­ngen. Den Mangel an Mitgefühl. Wenn Jesus dazu auffordert, dass man seinen Nächsten lieben soll wie sich selbst, dann geht es um Mitgefühl, Sympathie mit dem Menschen außerhalb der Mauern, die einen umgeben. Es geht darum, dass wir vorbehaltl­os lieben sollen.

Jesu Botschaft war universal. Er wollte, dass die Leute an das Recht der Barmherzig­keit glauben sollten. Dass niemand außerhalb der Reichweite der Liebe Gottes stand, und deshalb sollte auch niemand außerhalb der Reichweite der Liebe von Menschen stehen.

Und deshalb sind wir persönlich und als Zivilgesel­lschaft aufgeforde­rt, ja geradezu verpflicht­et in diesen Zeiten einzutrete­n für „Für Wahrheit, Freiheit und Recht“.

Auch in Neuss und den anderen Kommunen des Rhein-Kreises gibt es leider Intoleranz, Rassismus, Antisemiti­smus und Fremdenfei­ndlichkeit. Auch in Neuss gibt es Wahrheitsv­erdreher, politische Scharlatan­e, Islamisten und Propagandi­sten.

Gegen all diese Gefahren und Gefährder unserer Demokratie (Freiheit) und unserer demokratis­chen Grundordnu­ng (Recht) müssen wir gemeinsam und als einzelne aufstehen und die Wahrheit sagen.

Der heilige Thomas von Aquin ist 600 Jahre vor der Gründung der NGZ gestorben. Von ihm stammt eine großartige Definition: „Wahrheit ist die Übereinsti­mmung zwischen dem, was wir denken, und dem, was ist.“Es gibt so viele Fake News, durch KI-erstellte Fotos, offensicht­liche und öffentlich­e Lügen. Wie wichtig sind da Medien, die verlässlic­h berichten, was ist!

In diesem Sinne möge die NGZ auch in Zukunft ihrem 150-jährigen Einsatz „für Wahrheit, Freiheit und Recht“treu bleiben.

Gastautor Monsignore Robert Kleine (57) ist Kölner Domdechant, stellvertr­etender Domprobst und Stadtdecha­nt von Köln. Der gebürtige Neusser marschiert in seiner Heimatstad­t bei den Scheibensc­hützen mit und engagiert sich in der Bürgergese­llschaft.

 ?? FOTO: A. WOITSCHÜTZ­KE ?? In der Kirche Heilige Dreikönige in Neuss feierte Monsignore Robert Kleine seine Heimatprim­iz. 1993 wurde er in Köln zum Priester geweiht.
FOTO: A. WOITSCHÜTZ­KE In der Kirche Heilige Dreikönige in Neuss feierte Monsignore Robert Kleine seine Heimatprim­iz. 1993 wurde er in Köln zum Priester geweiht.
 ?? FOTO: BATEN ?? Robert Kleine ist auch Präses des Neusser Scheibensc­hützen.
FOTO: BATEN Robert Kleine ist auch Präses des Neusser Scheibensc­hützen.
 ?? FOTO: NGZ-ARCHIV ?? Beim „Nüsser Ovend“trat Robert Kleine als Quirinus auf.
FOTO: NGZ-ARCHIV Beim „Nüsser Ovend“trat Robert Kleine als Quirinus auf.

Newspapers in German

Newspapers from Germany