Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Ein Zeugnis des Selbstbewusstseins
Vor 150 Jahren gab die Neuß-Grevenbroicher Zeitung ihre Gründung bekannt – als rheinisch-katholisches Meinungsblatt im Kulturkampf. Bis heute ist sie nah dran an Heimat und Menschen.
Gegen das Preußische setzten sie das Rheinische, die Heimat war ihnen wichtiger als die Nation, die Religion bestimmte ihr Denken und Handeln. Die Gründer der Neuß-Grevenbroicher Zeitung wollten mit ihrem Tendenzblatt denen Orientierung geben, die sich als Katholiken und Rheinländer im Deutschen Kaiserreich ausgegrenzt fühlten. Die Herausgabe der Heimatzeitung, am 23. Dezember 1873 der Bürgerschaft in einer Vorabnummer zur Kenntnis gebracht, war Glaubensbekenntnis und Kampfansage zugleich. Der Konflikt mit den Staatsorganen war programmiert.
Der Kulturkampf des Reichskanzlers Otto von Bismarck gegen die Katholiken bestimmte die Anfänge der Neuß-Grevenbroicher Zeitung, die ab Januar 1874 regelmäßig erschien und Ausdruck war eines Selbstbewusstseins, wie es die Neusser Bürgerschaft bis heute verkörpert. Das Ideal, den Menschen nahe, aber unabhängig von den Strukturen der Macht zu sein, hat so manche Zeitenwende überstanden, war im Nationalsozialismus Anlass für das Verbot der Neuß-Grevenbroicher Zeitung, bot beim Neuanfang 1949 die Grundlage für die demokratische Wegbegleitung des Wiederaufbaus und für die Partnerschaft mit der Rheinischen Post.
Die Historikerin Annekatrin Schaller, die im Auftrag der Gesellschaft für Buchdruckerei die Geschichte der Neuß-Grevenbroicher Zeitung erforscht hat, beschreibt, wie über die Generationen die Gründerfamilien Unternehmen und Zeitung prägten und damit ihren Anspruch zum Ausdruck brachten, den sie bereits in der Ankündigung vom 23. Dezember 1873 formulierten: Für Wahrheit, Freiheit und Recht! Die Zeitung werde, so heißt es, „im politischen Theil über die Tagesereignisse berichten, sich dabei bemühend, unseren Besprechungen nur Tatsächlichkeit zugrunde zu legen“. Damit richtete sich die Neuß-Grevenbroicher Zeitung in ihrer Probenummer gegen die regierungstreuen Publikationen in Neuss und Grevenbroich und warb offensiv um Abonnenten, die jeweils am Dienstag, Donnerstag und Samstag durch Boten oder per Post mit einer meinungsstarken Publikation beliefert werden sollten. Nach einem Jahr, im vierten Quartal 1874, war die Neuß-Grevenbroicher Zeitung mit weitem Abstand die in Auflage und Auftritt wichtigste Informationsquelle in Stadt und Kreis. Mit negativen Folgen für die Mitarbeiter: Nicht nur die Schriftleiter, selbst die Zeitungsboten waren staatlichen Repressalien ausgesetzt. Wer im Staatsdienst stand, durfte nicht nebenbei Zeitungen austragen. Wer allzu Kritisches schrieb, kam vor Gericht.
Die Akzeptanz in der Bevölkerung aber war hoch. Die wirtschaftliche Unabhängigkeit, getragen von 21 namhaften Herren mit einem starken Eigenkapital von 15.000 Talern (!), sicherte das Erscheinen eines Blattes, das durchaus selbstkritisch mit der Frage von Wahrheit und Klarheit umging. Wer andere kritisiere und Gerechtigkeit einfordere, müsse auch selbst höchsten Ansprüchen genügen, hieß es damals. Die Frage der Verantwortung, so erklärten Wilhelm Werhahn und Hermann Josef Kallen, Nachfahren der Gründerfamilien, vor zwei Jahren bei der Vorstellung der NGZ-Geschichte, sei über die Generationen hinweg bestimmend gewesen für die Entwicklung der Neuß-Grevenbroicher Zeitung.
Das zeigte sich insbesondere in Kriegs- und Krisenzeiten, war nach dem Ersten Weltkrieg Antrieb für eine mutige Positionierung gegen politische Extremisten und für die katholische Sozialbewegung, führte deshalb in der nationalsozialistischen Diktatur zu Zensur und Verbot (1937) und war schließlich in der Nachkriegszeit ab 1949 die Basis für den gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Erfolg als bürgernahe Heimatzeitung mit regionaler Identität, wie sie insbesondere bei der kommunalen Neugliederung und dem Ringen um neue kommunale Strukturen zum Ausdruck kam. Johann Andreas Werhahn, Präsident der Neusser Bürgergesellschaft, spricht deshalb gern von der NGZ als einem Stück Heimat. Damit meint er eben nicht Heimattümelei, sondern verantwortliches Gestalten, wie es jüngst wieder bei der von ihm initiierten Bildungsoffensive Kompass D für junge Flüchtlinge deutlich geworden ist.
Den Weg der Digitalisierung mit ihren vielfältigen, auch wirtschaftlichen Herausforderungen geht die traditionsreiche Neuß-Grevenbroicher Zeitung seit 2010 als namhafter Teil der Rheinische Post Mediengruppe. Seit 1950 waren beide Häuser bereits partnerschaftlich verbunden, die Integration in die Mediengruppe dient der Zukunftssicherung. Die früheren Gesellschafter, unter anderem die Familien Werhahn, Kallen, Weidenfeld, Josten, Baum und Thywissen, sind der Marke weiterhin nahe und engagieren sich wie Wilhelm Ferdinand Thywissen mit dem von seiner Familie großzügig geförderten Preis für guten Journalismus. Das Zeitungsjubiläum, das 2024 begangen wird, knüpft an den Auftrag der Gründer an, für die „Bewohner unserer Kreise“da zu sein.
Annekatrin Schaller schrieb in diesem Zusammenhang: „In jeder Lokalzeitung bündelt sich der Mikrokosmos einer Kommune wie in einem Brennglas.“Diese aufmerksame, kritische wie wohlwollende Wegbegleitung, die Politik und Kultur, Kirche und Wirtschaft, Sport und natürlich auch das Schützenfest umfasst, gilt es zu stärken.
Sebastian Appelfeller, evangelischer Pfarrer in Neuss, hat sich zum Jubiläum „seiner Zeitung“gewidmet. Sein Statement, bei einer Matinee in der Bürgergesellschaft vorgetragen, sieht das Medium NGZ als verbindendes Element in einer diversifizierten Gesellschaft. Bei den vielfältigen Einzelinteressen brauche es diese Klammer, die Halt gibt und Orientierung bietet, Information vermittelt, für Offenheit steht, die Menschen einbezieht und niemanden ausgrenzt. Wenn ein evangelischer Pfarrer zum Jubiläum einer einstmals katholischen Publikation sprechen dürfe, so stellte Appelfeller zufrieden fest, sei das das beste Zeichen für übergreifendes Miteinander und Ökumene.
Die Neuß-Grevenbroicher Zeitung, gegründet als katholisches Meinungsblatt, steht mit ihrer regionalen Ausrichtung für ein breites gesellschaftspolitisches Spektrum und gewinnt stetig an Reichweite. Die Tradition ist nachzulesen auf ungezählten Zeitungsseiten, deren erste Ausgaben vor 150 Jahren gedruckt und verteilt wurden. Mag auch die Sprache weniger pathetisch sein als zur Zeit der Gründer, der Auftrag des Neusser Pressehauses bleibt auch in der digitalen Epoche: Für Wahrheit, Freiheit und Recht!