Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Kammerchor „Capella Quirina“meistert Bachs Matthäus-Passion
NEUSS (klni) Das war für drei Stunden großartige Karfreitagsmusik. Unangestrengt und doch unfassbar präzise wuchsen Chor und Ensemble über sich hinaus. Allein diese extrem großen physischen Mühen mit Bravour bewältigt zu haben, das verdient höchstes Lob. Zwar wurde mit verteilten Rollen musiziert, doch für die lange Dauer des feierlich gestimmten Abends war gleichwohl höchste Konzentration angezeigt. Gefordert waren der Kammerchor Capella Quirina neben dem Orchester Nordrhein Baroque, dem Surroundchor MC SC und dem Fukio Saxophonquartett. Außer einigen Holzbläsern sowie einem Tasteninstrument kamen instrumental nur Streicher zum Zuge.
Nicht allein deshalb, weil Pauken und Trompeten bei der wortgetreu beschriebenen Passion fehlten, war es ein Musizieren der überwiegend leisen Töne. Tiefe Verzweiflung war darin verwoben, auch wenn der Evangelist und die Gesangstexte der Solisten sowie der Chöre Hoffnung und vielleicht sogar Triumph aufscheinen ließen. Neun SoloSänger nahezu sämtlicher Stimmlagen waren aufgeboten, wobei man dem Interpreten der Christusworte mehr Stimmkraft gewünscht hätte. Schließlich stand seine verkörperte Rolle im Mittelpunkt der Leidensgeschichte und hatte weitgehend Verkündigungsfunktion.
Auf vielfältige Weise wurde also dem Klagen Klang gegeben, wobei der Wohlklang der großartigen Tonsetzung nicht alles war. Oft genug verschmolzen die Stimmen mit den traurigen Inhalten. Auf ihre Art bewiesen auch die Instrumente Mitleiden. Vor allem wurde der erschütternde Text in sein Recht gesetzt, indem der Matthäusbericht weitgehend zitiert wurde. Das Ungeheuerliche bahnte sich an und traf auch ein. „Auf dass das Wort erfüllt würde“, so wurde die Unvermeidlichkeit beschworen.
Was sagt das uns Heutigen? Wurden am Sonntag literarische und musikalische Denkmäler besichtigt, die tiefe Bewunderung und stellenweise sogar nachdenkliche Andacht generierten? Waren die faszinierten Besucher Zeugen hoher Spiel- und Sangeskunst? Wurden sie drei Stunden lang von dieser 300 Jahre alten Seelenmusik des überragenden Meisters Johann Sebastian Bachs erfasst? An all dem ist etwas dran.
Unter Joachim Neugarts kaum merklich energischem, doch zupackendem Dirigat lief vor aller Augen und Ohren ein göttliches Drama ab. Gottes Sohn wurde zu Tode gebracht. Das kannte keine Misstöne, glänzte in den Solopartien, ergriff bei den die Gemeinde symbolisierenden Chorälen und ließ die Zeit wie im Fluge vergehen. Eine Handbewegung des Dirigenten zur Pause reichte aus, um den unpassenden Applaus auf der Stelle abzubrechen. Die Gesangsstimmen brachten neben ihrer technischen Finesse ausdrucksstark das Geschehen in das vollbesetzte Münster. Tiefe Trauer und gespendeter Trost beherrschten die Szenen und sorgten auch lange nach der Leipziger Erstaufführung für große Erschütterung.