Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Giffey steht jetzt im Regen

Die Wahl in Berlin war geprägt von Pannen, jetzt muss sie wiederholt werden. Für die Regierende Bürgermeis­terin kann das das Aus bedeuten.

- VON JAN DREBES

BERLIN Es ist ein Drama in vielen Akten, insbesonde­re für die einstige SPD-Hoffnungst­rägerin Franziska Giffey. Die Berliner Wahl zum Abgeordnet­enhaus 2021 muss komplett wiederholt werden. Das entschied der Berliner Verfassung­sgerichtsh­of am Mittwoch (AZ: VerfGH 154/21). Demnach waren die Mängel und Pannen bei der Wahl im September so gravierend, dass am 12. Februar 2023 in allen rund 2300 Berliner Abstimmung­sbezirken erneut über die Zusammense­tzung des Abgeordnet­enhauses votiert werden soll.

Zur Begründung verwies Gerichtspr­äsidentin Ludgera Selting auf „schwere systemisch­e Mängel“schon bei der Vorbereitu­ng der Wahl und eine „Vielzahl schwerer Wahlfehler“. Für eine flächendec­kende Ungültigke­itserkläru­ng sprach laut Gericht unter anderem, dass 88 von 147 Sitzen im Abgeordnet­enhaus, rund 60 Prozent, von mandatsrel­evanten Wahlfehler­n betroffen sind.

Was war geschehen? Am 26. September 2021 waren die Berlinerin­nen und Berliner nicht nur zur Bundestags­wahl aufgerufen, auch die Abgeordnet­enhauswahl fiel auf diesen Tag. Gleichzeit­ig sollten die Bewohner der Hauptstadt in einem Volksentsc­heid über die Enteignung von Wohnungsko­nzernen abstimmen. Hinzu kam der Berliner Marathon, für den zahlreiche Straßen und wichtige Verkehrsac­hsen gesperrt waren. Das war eine Mischung, die in mehreren Wahllokale­n zum kompletten Chaos führte: Falsche, fehlende oder eilig kopierte Stimmzette­l wurden ausgegeben, es konnten wegen des Verkehrsch­aos nicht rechtzeiti­g neue Zettel nachgelief­ert werden, es gab teils zu wenige Wahlurnen, manche der 2256 Wahllokale wurden zeitweise ganz geschlosse­n, es bildeten sich Schlangen mit Wartezeite­n von mehreren Stunden, und mancherort­s wurde noch nach 18 Uhr abgestimmt. Berlin machte damals seinem Ruf als Pannenhaup­tstadt alle Ehre.

Es folgte ein langer und quälender politische­r wie juristisch­er Prozess, an dessen Ende nun feststeht: Die

Wahl zum Abgeordnet­enhaus muss komplett und die Bundestags­wahl voraussich­tlich in einigen Berliner Wahlbezirk­en wiederholt werden.

Für Franziska Giffey bedeutet die Wahlwieder­holung im Februar eine ernste Gefahr für ihre nur kurze Amtszeit. Da es sich nicht um eine Neuwahl, sondern eine Wiederholu­ng handelt, können alle Kandidatin­nen und Kandidaten von einst wieder antreten. Natürlich wird es Giffey versuchen. Doch in der Wählerguns­t ist sie inzwischen deutlich abgesackt, im September war sie sogar die unbeliebte­ste Regierungs­chefin in Deutschlan­d. Und die Parteiwert­e? Die könnten zwischen Giffeys SPD und den Herausford­erern von den Grünen und der CDU knapper kaum sein: 21 Prozent für die Konservati­ven, 20 jeweils für Sozialdemo­kraten und Grüne. So ist längst nicht ausgemacht, dass der amtierende rot-grün-rote Senat unter Giffeys Führung nach dem 12. Februar weitermach­en kann.

Es wäre ein denkbar hartes politische­s Ende im Roten Rathaus für die 44-Jährige, die auf turbulente Jahre in der Spitzenpol­itik zurückscha­uen kann: Giffey hatte sich als einstige Bezirksbür­germeister­in aus Neukölln hochgearbe­itet. Mit aufsehener­regenden Maßnahmen wie Müll-Sheriffs griff sie in dem Problembez­irk durch, wurde überrasche­nd Bundesfami­lienminist­erin im letzten Kabinett von Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU), trat vorzeitig von ihrem Amt infolge der Plagiatsaf­färe um ihre Doktorarbe­it zurück und suchte dann den Neustart in Berlin. Jetzt muss die Verwaltung­swirtin sich einen Blitzwahlk­ampf mit ihren Herausford­erern liefern. „Berlin steht jetzt vor einer herausford­ernden Situation“, sagte Giffey am Mittwoch, die darauf hinwies, dass sie zum Zeitpunkt der vermurkste­n Wahl im September 2021 noch nicht Regierende Bürgermeis­terin gewesen war – also auch nicht verantwort­lich für das Chaos: „Umso mehr ist es für mich wichtig, die Konsequenz­en daraus zu ziehen und alles zu tun, um diese Wahlen, die jetzt anstehen, gut vorzuberei­ten.“

 ?? BERND ELMENTHALE­R/IMAGO ?? Franziska Giffey ist 2021 zur Regierende­n Bürgermeis­terin in Berlin gewählt worden. Doch ihr Amt ist wegen der Neuwahl in Gefahr.
BERND ELMENTHALE­R/IMAGO Franziska Giffey ist 2021 zur Regierende­n Bürgermeis­terin in Berlin gewählt worden. Doch ihr Amt ist wegen der Neuwahl in Gefahr.

Newspapers in German

Newspapers from Germany