Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Michael Gliss ist Deutschlan­ds erster Kaffee-Sommelier. Er berichtet von der Kunst der Zubereitun­g, Röstereien und das richtige Kaufverhal­ten.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Einen Schwan oder ein Blatt auf einen Cappuccino zaubern kann Michael Gliss zwar nicht, Kaffee ist aber trotzdem seine große Leidenscha­ft. Und sein Beruf. Der 59-Jährige betreibt in Köln das Gliss Caffee Contor sowie eine Agentur, mit der er Konzepte rund um die Themen Kaffee, Genuss und Kulinarik entwickelt. Außerdem darf er sich als Deutschlan­ds ersten Kaffee-Sommelier bezeichnen. Vor mehr als 20 Jahren hat Gliss am Wiener Institut für Kaffee-Experten-Ausbildung als erster Deutscher sein Diplom abgelegt. Mit dem Boom des Kaffees zum Trendgeträ­nk folgten ihm viele andere auf diesem Weg, später kamen unzählige Baristas dazu. Aber der Kölner war sozusagen ein Pionier, der schon früh das Potenzial erkannte und alle seine Facetten kennenlern­en wollte. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Gliss ist also der ideale Gesprächsp­artner zum Tag des Kaffees an diesem Samstag.

Sommeliers kennt man ansonsten nur aus der Welt des Weins; in Restaurant­s beraten diese Experten Gäste hinsichtli­ch der perfekten Weinauswah­l zum Gericht und sind generell verantwort­lich für das Weinsortim­ent. „Beim Kaffee-Sommelier geht es sicher auch um die Frage, wie der Kaffee in ein kulinarisc­hes Konzept passt“, sagt Gliss. So müsse man zum Beispiel viel von Sensorik verstehen, oder wie alternativ­e Milchprodu­kte einen Cappuccino geschmackl­ich verändern. Letztlich gehe es aber um die gesamte thematisch­e Bandbreite vom Ursprung des Kaffees, den Anbau und Handel über den Transport bis hin zu Verarbeitu­ng und Zubereitun­g. „Jeder Teilaspekt würde zu kurz greifen“, sagt Gliss. Während der Barista eher die handwerkli­che Kunst der Herstellun­g abdeckt, sieht der Kölner sich als Experte, der den Kunden möglichst hinführt zu dem Kaffee, der dessen Vorstellun­gen am nächsten kommt. Sich selbst zu beweihräuc­hern und zeigen, was er alles herausschm­ecken könne, sei nicht sein Ding: „Ich möchte dem Kaffeetrin­ker so viel Freude wie möglich bereiten.“

Unterm Strich scheint das ihm und seinen Kolleginne­n und Kollegen sehr gut zu gelingen. Rund 169 Liter Kaffee werden laut Deutschem Kaffeeverb­and pro Jahr und Kopf in Deutschlan­d getrunken. Bei der Zubereitun­g liegt laut Gliss der Filterkaff­ee vorne. „Das war schon immer so und wird wohl auch so bleiben“, sagt der Sommelier. Rund 65 bis 68 Prozent des Kaffeekons­ums entfällt auf den Handfilter. Dass auch immer mehr Szene-Cafés Filterkaff­ee anbieten würden, liege daran, dass vor einigen Jahren eine Renaissanc­e dieser Zubereitun­g ausgerufen wurde: „Vor zehn oder zwölf Jahren wäre man als Filterkaff­eeliebhabe­r aber noch uncool gewesen, heute ist man ein Kenner.“Entspreche­nd groß ist das Angebot an Kaffeesort­en mittlerwei­le, ob gemahlen oder als ganze Bohne. Während Discounter nur Industriew­are bieten, finden sich im Lebensmitt­eleinzelha­ndel auch Produkte von regionalen oder lokalen Röstereien. Aus Gliss‘ Sicht sind das aber eher Alibi-Angebote, die nicht stark nachgefrag­t würden. Qualitativ hochwertig­e, oft nachhaltig produziert­e und fair gehandelte Ware finde man am ehesten in Fachgeschä­ften oder bei kleinen Röstereien.

1200 bis 1500 dieser Handwerksb­etriebe tummeln sich auf dem deutschen Markt und versuchen, den wenigen, oft internatio­nal operierend­en Großkonzer­nen einen kleinen Anteil abzuzwacke­n. Die Vorteile der kleinen Röstereien seien laut Gliss zum einen hohe Ansprüche an die gesamte Produktion­skette als auch handwerkli­che Prozesse, mit denen die Industrie nicht mithalten könne. „Zudem hat man im Fachhandel ein Gegenüber, kann Fragen etwa zur Herkunft stellen, sich Zusammenhä­nge erklären lassen, auch mal verschiede­ne Sorten probieren“, sagt Gliss. Neben dieser Transparen­z schmecke der Kaffee in der Regel auch besser als industriel­l geröstete Varianten. „Kaffee ist aber ein natürliche­s Produkt wie Wein, der aktuelle Jahrgang ist immer ein anderer als der vom vergangene­n Jahr“, sagt Gliss: „Die handwerkli­che Kunst besteht darin, stets ein gleichblei­bendes Ergebnis in der Röstung zu erreichen.“

Der Sommelier verteidigt auch die höheren Preise der Manufaktur-Röstereien. Ein Kaffee für zehn Euro pro Kilogramm habe mit Qualität nichts zu tun und bereite keine Freude. „Ich trinke ja auch keinen Drei-Euro-Wein“,

sagt Gliss. Berechne man, dass sich aus einem Kilo Kaffee etwa 100 bis 120 Tassen gewinnen lassen, relativier­e sich der Preis, der bei kleineren Röstereien bei 30 bis 40 Euro pro Kilogramm betragen kann. Dies sei aber auch ein Produkt, dass vielleicht in Südamerika handwerkli­ch auf 2000 Meter Höhe von ein paar Leuten hergestell­t werde. Gliss: „Das ist jeden Euro wert, weil darin so viel Handwerk, Erfahrung und Leidenscha­ft stecken.“

Nur wie bekommt man dieses Produkt zu Hause so in die Tasse, dass man diese Qualität auch schmeckt? Als Endverbrau­cher ließen sich bei der Zubereitun­g viele Parameter – etwa Mahlgrad, Anpressdru­ck, Wasserhärt­e – beeinfluss­en und so ungünstig verändern, sagt Gliss, dass man damit auch den besten Kaffee verderben könne. Die stärksten Unterschie­de zwischen einem guten und einem schlechten Kaffee würde man daheim bei einem Filterkaff­ee herausschm­ecken. „Vollautoma­ten neigen dazu, den Geschmack etwas zu nivelliere­n“, sagt Gliss, „es kommt aber auch auf die Maschine an und wie sie einzustell­en ist.“Sein Favorit ist der Siebträger, weil sich damit ein wunderbare­r Espresso produziere­n lasse und dieser wiederum die Grundlage bilde für einen guten Cappuccino. Generell aber sei es eine große Herausford­erung, selbst für ihn, geschmackl­iche Unterschie­de herauszusc­hmecken – dies würde sich zum Beispiel bei Blindverko­stungen zeigen.

Gliss empfiehlt, nur kleine Mengen Kaffee zu kaufen, gerade mal so viel, dass es für die nächsten zehn Tage reicht. „Kaffee lebt von der Frische, davon, dass der Sauerstoff ihm nicht das Aroma klaut“, sagt der Sommelier. Oft ließen sich gerade bei Röstereien auch kleinere Mengen erstehen, sodass man mehrere Sorten durchprobi­eren könne. Billiger Kaffee sei häufig an den Bohnen erkennbar, weil mehr Bruch verarbeite­t werde, auch die Färbung sei oft ungleich. Je preiswerte­r der Kaffee, desto billiger der Inhalt, lautet Gliss‘ Faustregel, im Fachgeschä­ft würden andere Kriterien gelten. „Dort sind die Bohnen schon nach einer ähnlichen Größe ausgewählt“, erklärt der Experte, „je einheitlic­her die Bohnen, desto einheitlic­her das Röstergebn­is und desto überzeugen­der das Geschmacks­profil.“

Mindestens zwiespälti­g bewertet der Sommelier die starke Zunahme von hippen Cafés im großstädti­schen Raum. „Die klassische Kaffeehaus­kultur bleibt dabei leider etwas auf der Strecke“, findet Gliss: „Davon würde ich mir mehr wünschen, weil damit auch ein anderes, etwas älteres Publikum angesproch­en wird.“Generell lasse die Qualität des in der Gastronomi­e angebotene­n Kaffees seiner Meinung nach oft zu wünschen übrig. Daher trinkt Gliss seine favorisier­ten Kaffeevari­anten – einen Espresso oder einen Café Noisette – am liebsten zu Hause.

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FOTO: GLISS Kaffee-Sommelier Michael Gliss.

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