Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Die nächste Eskalationsstufe
Kremlchef Putin raubt ukrainisches Gebiet und holt sich nach der Einschüchterung der Bevölkerung in Scheinreferenden die Legitimation. Das verheißt nichts Gutes.
DÜSSELDORF Wladimir Putin hat die Annexion der ostukrainischen Gebiete detailliert geplant – und mit der offiziellen Feier am Freitag besiegelt. Die wichtigsten Antworten zu den Folgen des Landraubs für Russland, die Ukraine und die Welt.
Was bedeutet die Annexion der vier Regionen? Kreml-Chef Putin ist selbst bei seinen verbrecherischen Aktionen immer um ein Stück Schein-Legitimation bemüht. „Die Fake-Legalität Putins zielt auf die Innenpolitik ab“, sagt Thomas Jäger, der an der Universität Köln den Lehrstuhl für Internationale Politik bekleidet. Putin möchte zeigen, so der Außenpolitik-Experte, dass es sich um „ein formal korrektes Verfahren handelt, das den Willen der Bevölkerung in den Gebieten widerspiegelt“.
Wie vertragen sich die Annexionen mit dem Völkerrecht? Aus Sicht des Völkerrechts, wie es in der Charta der Vereinten Nationen (UN) niedergelegt ist, bedeutet Putins Vorgehen einen glatten Bruch der internationalen Regeln. UN-Generalsekretär António Guterres wird deutlich: In New York sagte er, die Ankündigung des Kremls stelle eine gefährliche Eskalation dar, habe keinen Platz in der modernen Welt und dürfe nicht akzeptiert werden. Der Hamburger Völkerrechtler und Professor an der Bucerius Law School, Jörn Axel Kämmerer, bestätigt: „Annexionen sind generell völkerrechtswidrig – egal ob mit oder ohne Abstimmung. Sie sind erstens verboten und zweitens unwirksam.“
Was sagen Länder, die bisher Putin offen oder heimlich unterstützt haben? Der wichtigste Unterstützer Putins ist der chinesische Staatschef Xi Jinping. Er schweigt zu den Annexionen. Recht dürften sie ihm kaum sein. Denn seine Ein-China-Politik, die Taiwan als Teil der Volksrepublik ansieht, basiert auf internationalen Regeln, die von einem Großteil aller in den UN vertretenen Ländern anerkannt werden. Diese Position würde er gefährden, wenn er Putins Annexionen gutheißt. Auch Indien, Brasilien, Kasachstan, die Türkei und Südafrika dürften die Gebietszuwächse Russlands nicht anerkennen.
Was bedeutet die Annexion für die Menschen dort? Russland hat einschließlich der bereits auf ähnliche Weise 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim der Ukraine fast 20 Prozent ihres Staatsgebiets entwendet. Der Kreml ködert die dort verbliebenen Menschen mit der historischen Heimkehr zum Mutterland. Zum anderen gibt es für sie auch höhere Renten und Sozialleistungen. Wie bei der Krim-Annexion sollen die Menschen automatisch russische Staatsbürger werden.
Wie reagiert die russische Bevölkerung auf die neuen Annexionen? Eine Euphorie wie bei der Annexion der Krim 2014 fällt in Russland diesmal aus. Der Krieg mit seinen Zehntausenden von Toten ist viel zu nahe gerückt.
Wie begründet Putin die Annexion? Der Kremlchef will angeblich die dortige Zivilbevölkerung vor Angriffen ukrainischer Nationalisten schützen. Das wird inzwischen auch von russischen Soldaten für reine Propaganda gehalten, weil sie nirgends solche Nazis finden.
Werden die Annexionen den Krieg in der Ukraine weiter eskalieren? Davon ist leider auszugehen. Mit der Annexion gelingt es Putin, mögliche Schläge der Ukraine bei ihrer Offensive als Angriffe auf russisches Territorium zu werten. Völkerrechtlich hat das keine Bedeutung. „Es ist absolut perfide, Gebiete zu erobern, Menschen zu vertreiben, die zurückgebliebenen Personen in gläsernen Urnen zu einer Gebietsabtretung zu zwingen und sich dann möglicherweise auf ein Selbstverteidigungsrecht zu stützen, wenn die Ukraine auf diesem Gebiet Waffen einsetzt“, sagt Kämmerer.
Allerdings versucht Putin damit, die Anzahl seiner Optionen zu erhöhen. Nach der Militärdoktrin des Kreml kann er jetzt Atomwaffen zur Verteidigung des nunmehr russischen Staatsgebiets einsetzen. Er wird auch versuchen, Waffenlieferungen an Kiew als direkte militärische Einmischung des Westens in den Krieg anzusehen. Das eröffnet ihm in seiner Logik grundsätzlich Schläge gegen Nato-Nachschublinien. Die Wahrscheinlichkeit eines direkten Konflikts der Nato mit Russland ist jedenfalls gestiegen.