Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Kein Ende der Corona-Welle in Sicht
Modellrechnungen lassen im Jahresverlauf hohe Infektionszahlen befürchten.
BERLIN Die Omikron-Variante BA.5 hat Deutschland seit Mitte Juni fest im Griff. Denn trotz der derzeitigen sommerlichen Temperaturen ist kein Rückgang der Infektionszahlen zu erkennen – im Gegenteil: Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz der gemeldeten Fälle stieg im Vergleich zur Vorwoche weiter, wie das Robert-Koch-Institut (RKI) in seinem jüngsten Wochenbericht schreibt. Am vergangenen Freitag meldete die Forschungseinrichtung eine Inzidenz von 729, am Sonntag von 680. Was bedeuten diese Zahlen für die Herbst- und Wintermonate?
Die aktuelle Sommerwelle werde durch die Sommerferien gedämpft, da es weniger Infektionen in Schulen und am Arbeitsplatz gebe. Das geht aus einem Modell hervor, das ein Expertenteam um Sebastian Alexander Müller und Kai Nagel von der Technischen Universität Berlin erstellt hat. Nach den Ferien rechnen sie jedoch mit einem erhöhten Infektionsimport aus dem Ausland. Auch die Rückkehr in die Schulen und Büros sowie die Verlagerung von Aktivitäten in Innenräume werden demnach zu steigenden Zahlen führen. „Bleibt es bei den aktuellen Maßnahmen, werden wir laut unserem Modell auch im Herbst und Winter sehr hohe Infektionszahlen haben“, sagten Müller und Nagel auf Anfrage unserer Redaktion.
Im Hinblick auf die schon jetzt sehr hohen Zahlen legen die Modellierungen nahe, dass sich mittlerweile ein Großteil der Bevölkerung immunisiert hat – durch Impfungen oder Infektionen. Obwohl das RKI die Belastung des Gesundheitswesens weiterhin als hoch einschätzt, ist nach Einschätzung von Müller und Nagel bei den derzeitigen Virusvarianten nicht mit einer Überlastung des Gesundheitssystems zu rechnen. Eine weniger restriktive Politik erscheint ihnen in der aktuellen Situation aus bevölkerungsweiter Sicht deshalb vertretbar: „Individuell birgt jede Infektion das Risiko eines schweren Verlaufs beziehungsweise Long Covid, und dieses Risiko scheint nach bisherigen Daten auch mit jeder Infektion erneut aufzutreten“, geben die Ersteller des Modells zu bedenken.
Das Szenario findet auch ein Echo in der Politik: Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Tino Sorge, kritisiert die Ampel-Regierung dafür, dass sie bis jetzt noch kein Konzept für Herbst und Winter vorgelegt habe. Er verlangt unter anderem Schutzkonzepte für die älteren und vorerkrankten Menschen sowie die Vermeidung von Lockdowns und Schulschließungen. „Anstatt diese Vorbereitung zu treffen, präsentiert uns die Regierung sowohl schrille Katastrophenwarnungen des Gesundheitsministers als auch Andeutungen des Justizministers über den Sinn von Masken“, sagte Sorge unserer Redaktion.
„Bleibt es bei den Maßnahmen, werden wir auch im Herbst und Winter hohe Infektionszahlen haben“Sebastian A. Müller und Kai Nagel Forscher an der Technischen Universität Berlin