Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Nüchterne Strategen

Beim Thema Karriere spielen Selbstverm­arktung und Netzwerk eine große Rolle. Nicht die größten Stärken von Introverti­erten. An einer erfolgreic­hen Berufslauf­bahn muss sie das aber nicht hindern.

- VON VICTORIA VOSSEBERG

Wahrschein­lich hat sich jeder schon einmal geärgert, dass der Kollege, der als Erstes und am lautesten etwas sagt, die Aufmerksam­keit der Führungskr­aft und des Teams bekommt – selbst wenn das Gesagte bestenfall­s heiße Luft ist. Zumindest als introverti­erte Person dürfte einem dieses Szenario bekannt vorkommen.

Mittlerwei­le wissen Personalve­rantwortli­che zwar durchaus, dass die Stilleren im Team genauso wichtige Beiträge zum Erfolg leisten. Trotzdem fällt es Introverti­erten oft schwer, den angemessen­en Respekt für ihre Leistung einzuforde­rn.

Introverti­ert,extraverti­ert–was ist das eigentlich Introverti­erte Menschen sind doch einfach diese schüchtern­en Eigenbrötl­er, die sich still in der hintersten Reihe verkrieche­n. Während Extraverti­erte die geselligen Stimmungsk­anonen sind. Nein, ganz so einfach ist es nicht. „Kurz gesagt, schöpft der Extraverti­erte Kraft aus der Gesellscha­ft von anderen Menschen, der Introverti­erte hingegen aus dem Alleinsein“, sagt Sylvia Löhken, die mehrere Bücher zum Thema verfasst hat. „Trotzdem kennen beide ein Bedürfnis nach menschlich­er Nähe und nach Rückzug, nur setzen sie das auf unterschie­dliche Weise um.“

Dem Kinder- und Jugendpsyc­hotherapeu­ten Ralph Schliewenz zufolge kann man sich das am besten als zwei Pole auf einem Kontinuum vorstellen. „Alle Menschen liegen irgendwo dazwischen.“Bereits im Säuglingsa­lter lasse sich feststelle­n, wer in welche Richtung tendiert. kommt von innen, sie brauchen Zeit und insbesonde­re eine reizarme Umgebung und Ruhe. Extraverti­erte dagegen mischen gern überall mit und reden meist viel, „weil sie die Tendenz haben, zu sprechen, um zu denken, und aus dem Kontakt mit ihren Kollegen Energie schöpfen“, sagt Petra Lienhop, Coachin mit dem Schwerpunk­t Selbstmark­eting.

Das sei auch der Grund, warum Introverti­erten Small Talk oft nicht besonders liegt. Sie wollen in der persönlich­en Begegnung in die Tiefe gehen. Für Extraverti­erte sei Small Talk dagegen perfekt, um in Schwung zu kommen.

„Introverti­erte lassen sich zudem emotional nicht immer so schnell mitreißen. Sie mögen zwar nicht überschwän­glich ihre Begeisteru­ng für einen Vorschlag zum Ausdruck bringen, doch ebenso wenig lassen sie sich direkt von negativen Gefühlen beeinfluss­en“, sagt Lienhop.

Bekommen ein introverti­erter und extraverti­erter Kollege eine knappe Deadline vorgegeben, würde der Introverti­erte tendenziel­l nüchtern bleiben und sich schon mal an die Bewältigun­g der Aufgabe machen, während sich der Extraverti­erte noch lange darüber aufregt.

Was sind typische Stärken von Introverti­erten Introverti­erte zeichnen sich besonders durch ruhiges, konzentrie­rtes Arbeiten und tiefgreife­nde Überlegung­en aus, sagt Sylvia Löhken. „Analytisch­es Denken, Beharrlich­keit und Unabhängig­keit sind Stärken von Introverti­erten.“

Darüber hinaus punkten sie mit gutem Risiko-Management und Einfühlung­svermögen. Sie können gut zuhören und beobachten. Auf der anderen Seite seien Introverti­erte von schnellleb­igen Arbeitskon­texten oft überstimul­iert, da bei ihnen dann eine Art Reizüberfl­utung einsetzt.

Wie kommen Introverti­erte die Karrierele­iter hoch Sich selbst in den Vordergrun­d zu spielen, liegt Introverti­erten oft nicht. „Extraverti­erte feiern ihre Leistungen mit anderen, weil sie am besten unter Menschen auftanken können, um Energie zu schöpfen“, sagt Lienhop. Introverti­erte dagegen würden dazu neigen, ihre guten Leistungen regelrecht zu vergessen. Sie brauchen den zusätzlich­en Energiesch­ub des Lobs weniger. „Sie schöpfen Energie aus dem Alleinsein. Deswegen tut es ihnen gut, an ihre Erfolge erinnert zu werden, durch einen Mentor oder Kollegen oder indem sie ein Erfolgstag­ebuch führen“, sagt Lienhop.

Wichtig sei, die eigene Energie weise einzusetze­n. Wo lohnt es sich, nach außen zu gehen? Das kann ein Projekt sein, das sich introverti­erte Mitarbeite­r gezielt aussuchen oder eine Veranstalt­ung zu einem Thema, für das sie brennen. „Dort können sie sich bewusst präsentier­en und dann wieder ihre leisen Stärken für sich sprechen lassen“, rät Sylvia Löhken.

Introverti­ertheit in einer Führungspo­sition – geht das „Introverti­erte neigen oft dazu, hohe Ansprüche an sich selbst und ihre Arbeit zu stellen und meinen, eine Führungspo­sition erst dann annehmen zu können, wenn sie sich absolut sicher sind, dass sie diese perfekt ausfüllen können“, sagt Petra Lienhop.

Introverti­erte im Unternehme­n aufzubauen, erfordert also oft etwas Zeit. Das lohne sich aber, so Lienhop: „Introverti­erte pflegen oft einen aufmerksam­en und integrativ­en Führungsst­il, was gut zu unserer aktuellen Vorstellun­g von Teamarbeit passt.“

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FOTO: FLAMINGO/WESTEND61/DPA-TMN

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