Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Europas letzte Pfannensiederei
Dass Produkte mit völlig veralteten Maschinen produziert werden, kannte man hierzulande eigentlich nur aus der DDR. Doch auch in Niedersachsen gibt es eine museumsreife Anlage, die ein qualitativ hochwertiges Produkt schafft: Salz aus der Tiefe. Wenn man durch den Göttinger Stadtteil Grone fährt und vor den uralten Backsteinbauten der Saline Luisenhall steht, kommt man kaum auf die Idee, dass in dieser Industrieruine noch Tag für Tag gearbeitet wird. Da sind die Fördertürme aus dunklem Holz, da sind hohe, runde Schornsteine aus Ziegeln, hölzerne Lagerschuppen mit alten Blechschildern, und natürlich fehlt auch die Villa des Fabrikbesitzers nicht.
Der Eindruck, den man von außen hat, setzt sich im Inneren nahtlos fort: salzverkrustete Holzbalken, rostige Gestänge, und mittendrin große Wannen mit türkis leuchtendem Salzwasser, in denen es blubbert. Und unten ein Kohlenfeuer, mit dem die Chose erhitzt wird. Es ist faszinierend, eine historische Fabrik in voller Aktion zu erleben: da rollen Förderbänder mit Salzkristallen, da drehen sich Pumpengestänge, die das Salzwasser aus der Tiefe pumpen, da röhren Wirbelschichttrockner mit Heißluft, um die Restfeuchtigkeit aus dem Salz zu pressen.
Im Verkaufsraum geht die Nostalgie weiter: Die pfundschweren Packungen mit dem wertvollen Salz werden hier tatsächlich noch mit einer antiken Bizerba-Waage grammgenau abgewogen. Kurz: Die
Saline Luisenhall ist eigentlich ein Industriedenkmal. Dass das Denkmal lebt, ist Jörg Bethmann zu verdanken. Bethmann rettete das Unternehmen seines Urgroßvaters 1995, als es kurz vor der Pleite stand. „Es ist ja oft so: Eine Generation baut ein Unternehmen auf, die nächste erwirtschaftet Gewinne, und die nächste lässt es dann schleifen“, deutet Bethmann die Geschichte. Dank seiner Resilienz, wie er es beschreibt, und weil er das schwarze Schafe der Familie war, packte ihn der Ehrgeiz. Und es zahlte sich aus.
Das Salz wird in Luisenhall exakt so produziert wie im Jahr 1850, als ein gewisser Philipp Rohns, Geologe, die Saline in der alten Universitätsstadt gründete. Doch wie kam Rohns exakt auf diesen Standort?
Salzexperten wissen: Es sind die Zeigerpflanzen, also bestimmte Pflanzen, die anzeigen, dass in der Tiefe im Boden eine Salzschicht vorhanden ist. Allerdings musste Rohns einige Male bohren; zweieinhalb Jahre dauerte die Suche insgesamt und verschlang eine Menge Geld. Doch die Suche lohnte sich. Die Göttinger Sole hat eine ungewöhnlich hohe sogenannte Sättigungskonzentration, nämlich 26 bis 27 Prozent. So ist die Sole, ohne vorher gradiert werden zu müssen, direkt siedefähig. Früher wurde Salzwasser im Gradierwerk konzentriert, indem die
Sole durch Reisig geleitet wurde, wobei auf natürliche Weise Wasser verdunstet. In einigen Kurstädten, wie in Bad Nauheim, sind solche Gradierwerke noch heute in Betrieb. Kurgäste scharwenzeln gewöhnlich gerne um diese Gradierbauten herum, um die salzhaltige Luft einzuatmen.
In seiner Entstehungszeit war Luisenhall leider kein finanzieller Erfolg, und in den ersten 30 Jahren seines Bestehens versuchten einige Unternehmer
vergeblich, aus Salz Geld zu machen. Erst 1881, als Hermann Bartold Levin, Sohn eines Göttinger Tuchfabrikanten, die Anlage übernahm, rollte der Rubel.
Wie genau funktioniert eigentlich eine Pfannensiederei? Unter der Saline, in genau 462 Meter Tiefe, gibt es eine Steinsalzschicht. Unter dieser Steinsalzschicht verbirgt sich eine Sole, also eigentlich ein Salzwasser. Dieses Salzwasser hat einen Salzanteil von 27 Prozent.
Diese Sole wird in flachen Pfannen erhitzt, bis das Salz kristallisiert und abgeschöpt werden kann.
Weil die Menge an Salz, die Luisenhall produziert, im Vergleich zu großen Salzfabriken Peanuts sind, setzte Bethmann auf die steigende Zahl der Feinschmecker, die qualitativ gutes Salz zu schätzen wissen. „Wir beliefern viele gute Restaurants, wie etwa Nobelhart und Schmutzig in Berlin, und sogar den Chefkoch des Bundespräsidenten“,
sagt Bethmann nicht ohne Stolz. Außerdem gibt es das Salz auch bei Manufactum und in normalen Supermärkten der Umgebung.
Pro Jahr verlassen die Saline heute etwa 3000 Tonnen Salz, weit weniger als vor 100 Jahren. Das Luisenhaller Salz sieht anders aus als handelsübliches Salz, wie es zum Beispiel die Südwestdeutschen Salzwerke produzieren. Er ist nicht so reinweiß, und die Kristalle sind nicht so ebenmäßig. Der Geschmackstest zeigt dann: Oho, das Luisenhaller Salz schmeckt gar nicht so penetrant salzig wie das normale Salz. Wenn man es so sagen kann, ist es ein eher „weicher“Salzgeschmack.
Ein Teil des gewonnenen Salzes wird aber nicht als Speisesalz verkauft, sondern an die
Firma Kneipp, die es zu Badesalz weiterverarbeitet.
Neben dem Salz gibt es auch die sogenannte Salzblüte. Die ist natürlich teurer, hier kosten 60 Gramm 14,50 Euro. Sie scheint derart gefragt zu sein, dass sie zurzeit ausverkauft ist. Salzblüte sind die zarten Salzkristalle, die beim Siedevorgang oben vom Wasser abgeschöpft werden.
Um die Jahrtausendwende überlegte Bethmann, wie er das Unternehmen gewinnbringender aufstellen kann. Bethmann: „Ich schwankte zwischen der Beauftragung einer Werbeagentur oder dem Bau eines Solebades.“Das Solebad machte dann das Rennen, denn Bethmann ahnte, dass er durch zufriedene Kunden, die das Salz und den Produktionsort hautnah zu spüren bekommen, die Mund-zu-Mund-Propaganda ankurbeln würden. Fünf Jahre lang hatte er im ehemaligen Jauchebad des Gutshofes Luisenhall die Sache entwickelt und verfeinert. „Und ich hatte Recht: Bis vor Corona war das Bad praktisch immer voll...“In der Entstehungszeit der Saline gab es noch eine angeschlossene Landwirtschaft. „Denn damals war es schwer, Arbeiter vom Land in die neuen Fabriken zu locken, die waren misstrauisch“, erzählt Bethmann. Deshalb hätten die damaligen Besitzer jedem Salinenarbeiter die Möglichkeit eröffnet, in der Landwirtschaft zu arbeiten, gegeben. Bethmann ist übrigens selber Landwirt, genau wie sein Vater.
Im Badehaus kann man in der Thermalsole bei 35 Grad baden – oder besser: schweben, denn der hohe Salzgehalt bewirkt, dass man auf der Wasseroberfläche treibt wie im Toten Meer. Danach kann man in einer Soledampfsauna schwitzen und sich zur Krönung mit einem Salzpeeling abrubbeln. Der ganze Spaß kostet 25 Euro für eineinhalb Stunden. Man ist weltoffen in Göttingen: Es gibt getrennte Badezeiten für Leute, die „mit“baden wollen und für die, die lieber nackt ins Wasser steigen. Das Badehaus ist übrigens der einzige Gebäudeteil auf dem Gelände, der neu errichtet wurde.
Im Göttinger Stadtteil Grone wird in der Saline Luisenhall ein ganz besonderes Salz gesiedet.
Mehr Informationen unter www.luisenhall.de