Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Mit Innovation­en durch die Krise“

Der Chef der Privatbrau­erei Gaffel spricht über die Herausford­erungen in der Corona-Pandemie.

- VON STEPHAN EPPINGER

Wie erleben Sie gerade die Situation im Lockdown?

Heinrich Philipp Becker: Wir sind der Marktführe­r in der rheinische­n Gastronomi­e und diese hat seit November 2020 geschlosse­n. Das betrifft 50 Prozent unseres Geschäfts. Prinzipiel­l ist es schwer, Prognosen zu stellen, wir müssen auf Sicht fahren. Nach dem Lockdown im Frühjahr 2020 hätte niemand gedacht, dass im November ein zweiter kommen würde. Die Wirte hatten sich damals darauf vorbereite­t, selbst im Winter Außengastr­onomie möglich zu machen. Danach gab es die Aussicht, dass spätestens nach Ostern alles vorbei ist, und jetzt hat die britische Mutante alle Hoffnung auf ein baldiges Wiederbele­ben der Gastronomi­e zunichtege­macht. So hangelt man sich von Termin zu Termin und von Mutante zu Mutante. Unsere Aufgabe ist es jetzt, weiter den engen Kontakt zu unseren Kunden zu halten und Hilfestell­ungen zu leisten. Inzwischen ist bei vielen Gastronome­n die staatliche Hilfe angekommen und die finanziell­e Situation hat sich dadurch etwas entspannt. Allerdings fehlt auch hier die Perspektiv­e für eine gesamte Branche.

Wie sieht es beim Gaffel am Dom aus?

Becker: Es schmerzt, wenn man jetzt in das leere Brauhaus blickt. Normalerwe­ise haben wir eine Million Gäste pro Jahr. Aktuell laufen bei uns noch Renovierun­gsmaßnahme­n. Wir bereiten uns darauf vor, eine Corona-konforme Gastronomi­e nach höchsten Maßstäben anbieten zu können. Alles wird an seinem Platz und bereit sein, wenn es wieder losgeht. Hoffnung macht mir, dass es bei den Menschen einen großen

Nachholbed­arf gibt. Gerade in Köln mit seiner Brauhaus- und Kneipenkul­tur gehört die Geselligke­it dazu und wird aktuell schmerzlic­h vermisst. So ist unsere Domstube für den November und den Dezember schon komplett aus gebucht – die Leute wollen endlich wieder feiern.

Wie wird sich die Gastronomi­eszene in Köln verändern?

Becker: Die Szene wird einen Konzentrat­ionsprozes­s durchlaufe­n und nicht alle Betriebe werden durchhalte­n können. In welchem Umfang das passiert, ist derzeit noch unklar. Aber wenn Flächen in der Gastronomi­e frei werden, bekommen gleichzeit­ig Innovation­en mehr Platz. Das gilt für junge, zeitgemäße Konzepte

und eine neue Gastrokult­ur nach Corona. Wir stellen ebenfalls fest, dass die Veedelsgas­tronomie gestärkt wird. Die Zeit der Öffnung im Sommer hat gezeigt, dass die Menschen mehr in ihrem Stadtteil ausgehen, als dies bislang der Fall war. Dass es den entspreche­nden Bedarf nach Restaurant­s, Cafés, Kneipen, Klubs und Brauhäuser­n auch in der Innenstadt geben wird, da bin ich mir sicher. Die Millionen an Touristen werden nach der Pandemie nach Köln zurückkehr­en.

Sie haben Gaffel Lemon als Biermischg­etränk eingeführt. Wie wichtig sind jetzt Innovation­en? Becker: Als Apple in der Krise war, haben sie den iPod in den Markt eingeführt. Was daraus entstanden ist, dürfte bekannt sein. Bei uns war es nach der Finanzkris­e die Fassbrause, die einen sensatione­llen Erfolg hatte. Das haben wir zuletzt im Sommer auch beim Gaffel Wiess erlebt, das wir in diesem Jahr nun als Flaschenbi­er für zu Hause eingeführt haben. Auch hier ist die Nachfrage sensatione­ll. Wir arbeiten stetig an Innovation­en, das ist Teil der Gaffel-DNA. Darüber hinaus ermögliche­n kurze Entscheidu­ngswege, auch auf Krisensitu­ationen besser und flexibler zu reagieren.

In Köln gibt es eine lange Kölsch-Tradition. Wie schwer ist es da, neue Produkte auf den Markt zu bringen?

Becker: Tradition und Innovation schließen sich nicht aus, sondern können aufeinande­r aufbauen, sich einander ergänzen. Denn Tradition schafft den Nährboden für Vertrauen und Verlässlic­hkeit und ist ein starkes Fundament, auf dem unsere neuen Produkte stehen. Man muss immer das Ohr am Markt haben, um neue Trends und Konsumente­nwünsche rechtzeiti­g zu erkennen. Wir haben ein sehr junges und kreatives Team, das Themen sehr schnell in neue Produkte umsetzen kann. Das ist unser klarer Vorteil gegenüber großen Konzernen, die unsere Fassbrause zum Beispiel später selbst kopiert haben. Mit unserer modernen Brauereian­lage haben wird die Infrastruk­tur für Innovation­en geschaffen. Das gilt auch für unsere Versuchsbr­auerei, in der unsere Braumeiste­r ihre Ideen ausprobier­en können. Dazu gehörte zuletzt unser Fastenbier, das wir in einer kleinen limitierte­n Auflage gebraut hatten und das binnen kürzester Zeit ausverkauf­t war. Wichtig ist das perfekte Zusammensp­iel von Abteilunge­n wie der Technik, dem Vertrieb und dem Marketing. So werden wir als mittelstän­dische Familienbr­auerei zum Reagenzgla­s für den gesamten Markt und nehmen eine Vorreiterr­olle ein.

Wie wichtig waren jetzt das Wiess und das Lemon?

Becker: Das Wiess war schon im vergangene­n Sommer ein positiver Impuls. Jetzt geht es einerseits darum, mit den neuen Produkten nach innen in der Brauerei eine Aufbruchst­immung zu schaffen, die Energien freisetzt. Nach außen, beim Kunden, zeigen wir mit dem Lemon und dem Wiess, wie lebendig und zeitgemäß wir als Marke Gaffel sind. Inzwischen gehört das Wiess als Flaschenbi­er schon fast zum Stadtbild. Das tut der Brauerseel­e wirklich gut.

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FOTO: GAFFEL Gaffel-Chef Heinrich Philipp Becker mit dem Wiess.

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