Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Die neue Prinzessin der Herzen
Anders als frühere Disney-Produktionen kommt der neue Film „Raya und der letzte Drache“ohne rassistische Klischees aus.
Ehrlich, man sollte diesen Film schon wegen dieser herrlichen Nebenfigur schauen. Tuk Tuk heißt sie, und das ist eine Mischung aus Maus und Schildkröte oder Schoßhündchen und Pillendreher-Käfer, jedenfalls: innen Plüsch und außen Panzer. Tuk Tuk ist immer da, wenn es gefährlich wird, es kommentiert das Geschehen allein durch Mimik. Außerdem kann sich dieses Wesen zusammenrollen, und dann darf man auf ihm reiten oder besser: fahren. Wie auf einer Kugel geht es durch die liebevoll gestalteten Landschaften dieses Films.
„Raya und der letzte Drache“heißt das neue Animationsabenteuer aus den Disney-Studios. Der Vertriebsweg ist wie bei „Mulan“im vergangenen Jahr ungewöhnlich und der Covid-Krise geschuldet (siehe Infokasten).
Der Film erzählt eine Geschichte, in der Versatzstücke aus südostasiatischen Märchen und Legenden aufblitzen. Vor 500 Jahren existierte die Fantasiewelt Kumandra: ein Paradies, in dem Menschen und Drachen gemeinsam lebten. Doch die Druun-Geister brachten das Böse in diese Welt, sie ließen Menschen versteinern, und dass überhaupt einige überlebten, ist dem aufopferungsvollen Kampf der Drachen zu verdanken. Die Welt zerfiel in fünf Reiche, ihre Herrscher sind zerstritten, und jeder besitzt nun einen Teil eines magischen Edelsteins. Wenn die Völker sie zusammensetzen würden, könnten sie das Böse bannen und zurückkehren nach Kumandra. Aber die Menschen sind nicht so.
Die etwas komplizierte Vorgeschichte wird mit hohem Tempo abgehandelt. Danach geht es nur noch um Raya, die Prinzessin, die an das Gute glaubt und alle Reiche einen möchte. Ihr Vater verfolgte dieselbe Mission, er scheiterte, und nun muss Raya die Welt retten. Sie begibt sich gemeinsam mit Tuk Tuk auf die Suche nach dem letzten
Drachen, der ihr dabei helfen soll. Und natürlich wird das die klassische Heldenreise eines Waisenkindes, auf der Raya lernt, worauf es wirklich ankommt: auf Vertrauen und Zusammenhalt.
Disney hat zuletzt einige seiner Klassiker in die Erwachsenenabteilung seines Streamingkanals verschoben und mit Warnhinweisen versehen. „Dieses Programm enthält negative Darstellungen. Diese Stereotypen waren damals falsch und sind es jetzt“, ist nun vor Filmen wie „Dschungelbuch“und „Peter Pan“zu lesen. Hintergrund der Aktion ist, dass etwa in „Dumbo“eine Krähe namens Jim Crow vorkommt, die mit stereotypischem afroamerikanischen Akzent spricht. In „Aristocats“und „Susi und Strolch“gibt es
Siamkatzen, die mit klischeehaftem asiatischen Akzent sprechen. Diese Charaktere wurden dabei stets von weißen Schauspielern gesprochen. Statt die Filme zu löschen, will Disney deren „schädliche Auswirkungen“anerkennen und das Gespräch eröffnen, „um die Zukunft gemeinsam noch inklusiver“zu gestalten, wie es heißt.
Gegen die Darstellung mancher Charaktere als „eindimensional, klischeebehaftet oder hypersexualisiert“engagiert sich unter anderem die Hollywood-Schauspielerin Geena Davis, die ein Institut zur Geschlechterdarstellung in den Medien gegründet hat. Disney möchte mit dem neuen Film nun alles richtig machen. Die meisten Figuren sind weiblich und divers, und Raya wird gesprochen von der Youtuberin Christina Ann Zalamea. Wie schon das Südseeabenteuer „Vaiana“und die neue „Mulan“ist „Raya und der letzte Drache“weit weg von den Prinzessinnen alter Filme, die von Männern gerettet wurden. Die aktuellen Heldinnen sind mutige Kriegerinnen und können sich bestens alleine verteidigen. Sie gestehen sich zu, Fehler zu machen und werden auf eine von allen männlichen Eingriffen unabhängige Weise erwachsen.
„Raya und der letzte Drache“ist großartig gestaltet. Die Hintergründe quellen über vor Ornamenten, Blumen, Mustern und kleinen Details wie Mäusen mit Flügeln, die mitunter nur für wenige Sekunden zu sehen sind. Ohne dem Zuschauer
die Spannung zu nehmen, darf man erzählen, dass Raya bald die Drachenfrau Sisu trifft, und beide werden zu einem guten und lustigen Team. Die Sprache ist zeitgenössisch, manchmal an Rap und Hip-Hop orientiert: „Was geht ab?“– „Bling ist mein Ding.“
Bisweilen geht es allerdings allzu rasant durch die unterschiedlichen Teile des zersplitterten Landes, das gibt dem Film etwas Gehetztes. Allerdings bekommt der Zuschauer auf diese Weise mal wieder die Gelegenheit, durch die Welt zu diffundieren – auch wenn sie nur in der Fantasie gestaltet wurde. Das ist diese „Raya“nämlich auch: ein Reisebericht und ein Lobgesang auf die Unterschiedlichkeit von Erfahrungsund Lebensräumen.