Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Dritter Anlauf
Die Entscheidung über den Parteivorsitz der CDU soll nun nach Ostern fallen. Kandidat Merz beklagt Benachteiligung.
BERLIN Die Rechnung von Kanzleramtschef Helge Braun beeindruckt die Skeptiker dann doch. In der Cdu-vorstandssitzung herrscht wenig Begeisterung über den Vorschlag von Parteichefin Annegret Kramp-karrenbauer, die Entscheidung über ihre Nachfolge wegen der Corona-pandemie abermals zu vertagen. Aber auf drängende Fragen, ob die hohe Zahl der Neuinfektionen nicht auch etwas mit der hohen Zahl der Tests zu tun hat, nennt Braun, gelernter Anästhesist, eine andere Vergleichszahl: Im September seien rund 300 Intensivbetten mit Corona-patienten belegt gewesen, vier Wochen später 1300 – mehr als das Vierfache.
Dass Kanzlerin Angela Merkel nichts von einem Parteitag mit 1001 Delegierten hält, während die Zahl der Trauernden bei einer Beerdigung nur zweistellig sein darf, wissen Vorstand und Präsidium der CDU. Nun mahnen Braun und Merkel aber noch einmal eindringlich, dass die Glaubwürdigkeit der Politik untergraben werde, wenn die CDU zu ihrem Parteitag zusammenkommt, den Bürgern aber harte Kontaktbeschränkungen auferlegt werden.
Die Crux der CDU: Der dramatische Anstieg der Neuinfektionen macht den für den 4. Dezember in der Stuttgarter Messehalle geplanten sogenannten Präsenzparteitag unmöglich, aber für eine digitale Ausrichtung gibt es keine rechtliche Grundlage (siehe Info-kasten). Eine Verschiebung der Vorstandswahl um einige Wochen ist möglich. Aber ist die Pandemie dann schon überwunden oder das Grundgesetz so geändert, dass eine digitale Abstimmung erlaubt ist?
Generalsekretär Paul Ziemiak sagt: „Ich habe vor dieser Situation gewarnt.“Er wollte wie Ju-chef Tilman Kuban eine weitreichendere Gesetzessänderung. Kuban sagte unserer Redaktion: „Wir hätten die Verfassungsänderung, die uns einen digitalen Wahlparteitag ermöglicht, längst haben können. Jetzt sollte die Partei- und Fraktionsspitze schnell liefern.“Und er fordert: „Wir müssen in der Bundesvorstandssitzung am 14. Dezember über den neuen Termin entscheiden.“Die Junge Union sei weiter für die schnelle Festlegung, „wenn möglich für einen digitalen oder physischen Parteitag am 16. Januar“. Womöglich entscheidet die CDU aber auch erst auf einer Bundesvorstandsklausur am 16. Januar über das weitere Prozedere.
Der frühere Bundestagsfraktionschef Friedrich Merz, der wie Nrw-ministerpräsident Armin Laschet und Außenexperte Norbert Röttgen um den Vorsitz kämpft, beklagte am Morgen in der ARD eine persönliche Benachteiligung durch die Verschiebung. In einem Interview mit der „Welt“sagte er: „Ich habe ganz klare, eindeutige Hinweise darauf, dass Armin Laschet die Devise ausgegeben hat: Er brauche mehr Zeit, um seine Performance zu verbessern. Ich führe ja auch deutlich in allen Umfragen. Wenn es anders wäre, hätte es in diesem Jahr sicher noch eine Wahl gegeben.“Seit Sonntag, führte er aus, laufe der letzte Teil der Aktion „Merz verhindern“in der CDU. „Und das läuft mit der vollen Breitseite des Establishments hier in Berlin. Über dieses Vorgehen der Parteiführung herrscht unter vielen Mitgliedern der CDU blankes Entsetzen“, so Merz. Er vermutet, dass ein digitaler Parteitag „auch mit einer Wahl abgeschlossen werden kann“. In der Cdu-spitze ist man über Merz’ Aussagen ziemlich entsetzt. Es wird darauf hingewiesen, dass im Vorstand auch Anhänger des Merz-flügels sitzen und man dennoch zu einer einstimmigen Entscheidung gekommen sei. Auch gelte es jetzt, Verantwortung für das ganze Land zu tragen und nicht nur für eigene Karrierepläne.
Genervt ist man in der CDU auch von den Einlassungen von CSUCHEF Markus Söder, der früh vor einem Präsenzparteitag gewarnt hatte, und die als Einmischung empfunden wurden. Die Harmonie von CDU und CSU, sie bröckelt.
Röttgen sagt, die erneute Absage des Parteitags sei bitter, aber eine Folge der Unberechenbarkeit der Pandemie: „Deutschland erwartet von der CDU, ein Stabilitätsfaktor in schwieriger Zeit zu sein. Dafür brauchen wir Einigkeit und einen verlässlichen Plan für die Neuwahl unserer Führung. Diese muss im Frühjahr des nächsten Jahres erfolgen.“Laschet hatte sich schon am Sonntag für eine Verschiebung des Parteitags ausgesprochen. Notfalls soll der neue Vorstand per Briefwahl gewählt werden. Das würde mit möglicherweise nötigen Stichwahlen allerdings etwa 70 Tage dauern. Vizeparteichefin Julia Klöckner hält auch einen dezentralen Parteitag für zweifelhaft: „Ihn an mehreren Orten gleichzeitig digital vernetzt durchzuführen, ist auch nicht weniger infektionsanfällig. Sollte an nur einem Ort wegen eines vorherigen Infektionsgeschehens die Zusammenkunft untersagt werden, dann ist die Wahl nicht rechtssicher durchführbar.“Bliebe eine Urnenwahl. Die Kandidaten kämpfen digital um die Mehrheit der Delegierten, und diese geben ihre Stimme in einem Wahllokal ihres Orts- oder Kreisverbandes ab.
Sachsens Ministerpräsident und Cdu-präsidiumsmitglied Michael Kretschmer sagte unserer Redaktion, dass nun alle Personalreserven in die Gesundheitsämter gesteckt würden: „Das ist momentan die Baustelle in Deutschland und nicht, ob die CDU einen neuen Vorsitzenden wählt. Das können wir auch nach Ostern machen, wenn die Wetterlage günstiger ist.“Das Coronavirus sei in der kälteren Jahreszeit sehr viel gefährlicher. „Wir haben allein vom September auf den Oktober eine dramatische Veränderung erlebt, und das Einzige, was anders ist, ist das Wetter.“Ostern ist Anfang April – zwei Wochen nach den Landtagswahlen in Baden-württemberg und Rheinland-pfalz.