Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Europa weiß nur, was Merkel nicht will“
Der Präsident der IHK Düsseldorf, Andreas Schmitz, kritisiert die Europa- und Digitalpolitik der Kanzlerin. Vom Land wünscht er sich mehr Unterstützung beim Ausbau des Flughafens. Und die Sehnsucht nach Merz bleibt.
DÜSSELDORF Mit Spannung hatten 1400 Gäste aus Wirtschaft und Politik auf Wolfgang Schäuble (CDU) gewartet. Der Bundestagspräsident sollte die Festrede beim Neujahrsempfang der IHK Düsseldorf halten. Was würde er zur Niederlage von Friedrich Merz beim Kampf um den Cdu-parteivorsitz sagen? Und für welchen alternativen Posten würde er ihn empfehlen? Doch daraus wurde nichts. Schäuble musste wegen einer akuten Magen-darm-erkrankung absagen.
Doch die Sehnsucht in der Wirtschaft nach Merz ist weiter groß. Zumal viele Unternehmer mit der Politik von Angela Merkels großer Koalition hadern. Auch Andreas Schmitz, Präsident der IHK Düsseldorf, machte seine Kritik deutlich: „Merkel war noch nie eine Frau der großen Pläne, aber was immer mehr ins Auge sticht, ist die zunehmende Diskrepanz zwischen ihrer Analyse und ihrer praktischen Politik. Ganz Europa weiß nur, was Merkel nicht will, denn wie jeder Chef, der lange im Amt ist, kann auch Merkel gut erklären, was nicht geht. Nur sind Bedenken eben noch kein Plan.“
Konkret mahnte er an: „Deutschland und Frankreich müssen die Meinungsführerschaft für eine Revitalisierung der EU übernehmen.“Es sei ein großes außenpolitisches Versäumnis, dass Deutschland nicht zum Schulterschluss mit Frankreich bereit war und Präsident Emmanuel Macron mit seinen Initiativen habe auflaufen lassen.
Schmitz betonte: „Die deutsche Volkswirtschaft ist nicht so gesund, wie es die Arbeitsmarktdaten und die Steuereinnahmen glauben machen.“Die Großbanken seien nur noch ein Schatten ihrer selbst, die Energiekonzerne hätten sich von der Energiewende bis heute nicht erholt. Zugleich gebe es einen „Vertrauensverlust in mehr oder weniger alle deutschen Autohersteller“. Gleichwohl hoffe er, dass die Deutsche Umwelthilfe mit ihrem Feldzug gegen den Diesel scheitern werde.
Mit Sorge sieht Schmitz, wie langsam es bei der Digitalisierung vorangeht. „Europa hat die erste Halbzeit der Digitalisierung bereits krachend verloren und schaut sich selbst beim Einschlummern zu.“Dervorsprung der Us-konzerne wie Google, Apple und Microsoft, aber auch ihrer chinesischen Pendants wie Alibaba oder Baidu sei so groß, dass nicht nur die deutsche Autoindustrie bangen müsste. „Die Bundesregierung hat das digitale Neuland nur rhetorisch betreten.“Und verzettele sich: So beschäftigen sich in 14 Ministerien 482 Mitarbeiter, verteilt auf 244 Teams in 76 Abteilungen mit digitalen Fragen. „Kompetenzbündelung sieht anders aus.“
Das Zeugnis für die Landesregierung fiel differenziert aus. Der Ihk-präsident lobte, dass Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP) sich für die duale Ausbildung ins Zeug lege, Fachkräftemangel sei das größte Problem der Betriebe. Und er lobte Verkehrsminister Hendrik Wüst für erste Erfolge bei der Infrastruktur. Der hatte sich den Empfang in diesem Jahr aber geschenkt.
Doch der Ihk-präsident sieht auch für die Landesregierung noch Arbeit: „Beim Thema Kapazitätserweiterung des Flughafens Düssel- dorf würden wir uns etwas mehr Mut wünschen.“Mit Blick auf die vielen Aktivitäten des Landes zur Förderung des Ruhrgebietes sagte der rheinische Ihk-präsident:„bei allemverständnis für das Ruhrgebiet: Hier im Rheinland wünscht man sich an der ein oder anderen Stelle schon etwas mehr Aufmerksamkeit.“
Was muss sich ändern in der Bundespolitik? „Annegret Kramp-karrenbauer muss sich jetzt entscheiden, ob sie mit Merkel weitermachen will oder auf eine Regierungsumbildung mit Friedrich Merz drängt“, sagte Schmitz im anschließenden Talk mit Michael Bröcker, Chefredakteur der„rheinischen Post“, und Sven Afhüppe, Chefredakteur des „Handelsblatts“. Applaus der Unternehmer. Er habe auch versucht, Merz als Schäuble-ersatz zu gewinnen, ergänzte Schmitz. Doch Merz haben einen ehrenvollen Grund, nein zu sagen: Er feiere den 95. Geburtstag seines Vaters.