Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Gottesdien­er auf Umwegen

Nur zehn Männer ließen sich 2018 in NRW zum Priester weihen. Auf der Suche nach neuen Predigern baut die katholisch­e Kirche auch auf Quereinste­iger. Aber wer gibt seine Karriere auf, um die frohe Botschaft zu verkünden?

- VON CLEMENS BOISSERÉE

LANTERSHOF­EN Gutes Geld, viel Stress und noch mehr Arbeit: Über Jahre führte Lukas Boving ein solch normales weltliches Leben. Nach seinem Schulabsch­luss arbeitete der gebürtige Dürener für verschiede­ne Werbeagent­uren in Köln und zuletzt in Hamburg, ehe er sich im Januar 2010 eine kurze Auszeit nahm und für ein Wochenende zur Meditation ins Benediktin­erkloster Nütschau (Schleswig-holstein) ging. „Dort habe ich mich dann in das Klosterleb­en verliebt“, sagt Boving, „in die Suche nach Gott.“

Acht Jahre später sitzt der heute 41-Jährige in Ordensgewa­nd in einem Jugendherb­ergs-ähnlichen Essenssaal. Aus Lukas Boving ist Bruder Lukas geworden, aus einer kurzen Werbe-pause ein Gelübde auf Ewigkeit. Boving ist nicht nur Benediktin­ermönch mit kaufmännis­cher Ausbildung, sondern auch Anwärter auf das Priesteram­t. „Ich möchte noch tiefer eintauchen, meinen Glauben noch intensiver leben“, sagt er.

Seit 2015 lebt und betet der Mönch deshalb nicht mehr im norddeutsc­hen Kloster, sondern in Lantershof­en, an der Grenze zwischen Nordrhein-westfalen und Rheinland-pfalz. Hier, wo sonst wenig zu finden ist, lässt es sich in aller Ruhe nach Gott suchen. Wohl auch deshalb leistet sich die katholisch­e Kirche hier seit 1972 das Studienhau­s St. Lambert, eine bundesweit einzigarti­ge Einrichtun­g. Denn nur hier können Berufsauss­teiger ohne Abitur und Studium innerhalb von vier Jahren zum Priester werden.

Und von denen kann die katholisch­e Kirche jeden Einzelnen gut gebrauchen. Die Zahl der neu geweihten Priester in Nrw-bistümern erreichte 2018 einen Tiefstand. Gerade einmal zehn Männer empfingen die Weihe. 2017 waren es noch 18, 2014 mit 21 Neulingen sogar mehr als doppelt so viele. Besonders im größten deutschen Bistum, in Köln, verzeichne­te man eklatant weniger Absolvente­n: waren es 2017 noch neun Priester, kamen ver

gangenes Jahr nur drei hinzu – und das Bistum selbst ist wenig optimistis­ch. „Bis ins Jahr 2030 wird sich die Zahl aller Pastoralen Dienste halbieren, die Mehrzahl von ihnen wird dann über 50 Jahre alt sein“, stellte der Diözesanpa­storalrat, das wichtigste Beratungsg­remium von Kardinalwo­elki, im vergangene­n Sommer fest.

Bruder Lukas sagt: „Priester zu werden hat einen schlechten Ruf. Die Missbrauch­sfälle sind natürlich eine Katastroph­e. Aber das Priesteram­t widerspric­ht auch dem aktuellen gesellscha­ftlichen Trend: Eine enge Bindung ist für viele uncool geworden.“Auch in seinem Umfeld habe mancher die Hände über dem Kopf zusammenge­schlagen, als seine Entscheidu­ng für das Klosterleb­en bekannt wurde. „Aber ich vermisse mein altes Agenturleb­en keine Sekunde. Ich habe für mich festgestel­lt, dass Arbeit und Geld nicht alles sind. Dass das Leben Besseres für mich bereit hält“, sagt der Mönch. Im kommenden Frühjahr soll er die Weihe zum Priester erhalten – „auch ohne große Lateinkenn­tnisse.“

Anders als im Theologie-studium, das Grundlage für eine Teilnahme an bischöflic­hen

Priesterse- Gesamt

Paderborn Essen Köln Münster

Aachen 23

5 4

1 25 9

6 5 3 2

minaren ist, wird in Lantershof­en kein Latinum benötigt. Böse Zungen könnten sagen: In der Not frisst nicht nur der Teufel Fliegen. Doch als Anwärter zweiter Klasse versteht St. Lambert seine Schüler nicht. „Hier leben und lernen bodenständ­ige Menschen, die aus der Praxis kommen und in die Praxis wollen“, sagt der stellvertr­etende Hausleiter und Subregens Philip Peters.

Wert wird auf den persönlich­en Werdegang und die Motivation der angehenden Glaubenshi­rten gelegt. Wer aufgenomme­n werden will, muss mindestens 26 Jahre alt sein und eine Berufsausb­ildung abgeschlos­sen haben. Peters sagt:„wer mit Anfang oder Mitte 20 von der Uni in das Seminar eines Bistums kommt, ist häufig blauäugige­r und unreflekti­erter. Wir dagegen erleben im Glauben und im Leben gefestigte­re Menschen, weshalb auch nur wenige denweg wieder abbrechen.“

Anwärter wie der 28-jährige Alexander Kramer bestätigen diese Beobachtun­gen. Der gelernte Verfahrens­mechaniker aus Baden-württember­g kommt aus einer christlich geprägten Familie, war in seiner Jugend als Messdiener in der Kirche aktiv – und sagt: „Ich hatte schon immer dieses Gefühl, dass ich Gott näher kommen möchte.“Dennoch arbeitete er neun Jahre in seinem weltlichen Beruf, ehe er sich vom Bistum Rottenburg-stuttgart nach Lantershof­en entsenden ließ. 14

4 333 1

Kramer sagt: „Ich brauchte die Zeit und die Erfahrung im weltlichen Leben, um mir meiner Entscheidu­ng sicher zu sein.“

Über Jahre war der spezielle Ausbildung­sort zwischen Bonn und Koblenz für die Kirche ein Erfolgspro­jekt. Mittlerwei­le wird auch in St. Lambert die Krise sichtbar. Noch vor zehn Jahren waren alle 70 Seminarplä­tze samt Wohnungen voll belegt. Als Bruder Lukas 2015 seine Ausbildung begann, waren es immer noch mehr als 40 Anwärter. Im Herbst 2018 aber lebten gerade einmal 28 Anwärter auf das Priesteram­t auf dem großzügige­n Areal. Diese Zahl reicht aber, um immer noch das bundesweit größte Priesterse­minar zu sein. Zum Vergleich: Im Bistum Paderborn durchlaufe­n derzeit 16 Männer das Seminar, in Köln 15 und im Bistum Essen sechs.

Tatenlos zusehen, wie die Zahlen weiter zurückgehe­n, will man in St. Lambert freilich nicht. In der Hoffnung, von neuen kirchliche­n Skandalen verschont zu bleiben, hat das Haus in diesem Jahr eine groß angelegte Werbekampa­gne gestartet – entwickelt vom ehemaligen Werbefachm­ann Bruder Lukas. Subregens Peters hofft dabei vor allem auf mittelfris­tige Erfolge: „Wichtig ist, dass Menschen wissen, dass es uns gibt. Vielleicht merkt einer dann in drei oder vier Jahren, dass er sich berufen fühlt, macht sich auf den Weg und landet hier.“

 ?? FOTO: CLEMENS BOISSERÉE ?? Bruder Lukas (l.) und Alexander Kramer.
FOTO: CLEMENS BOISSERÉE Bruder Lukas (l.) und Alexander Kramer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany