Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Speed Dating – der erste Flirt mit der Politik

35 Neusser Schüler fühlten gestern fünf Landtagska­ndidaten auf den Zahn – am Ende gab es ein überrasche­ndes Ergebnis.

- VON SIMON JANSSEN

NEUSS Selten wurde die Überzeugun­gsfähigkei­t von Landtagska­ndidaten so knallhart auf die Probe gestellt wie gestern Nachmittag im pädagogisc­hen Zentrum des Berufskoll­egs Weingartst­raße. Im Rahmen von „Deine Stimme zählt“, ein Projekt von Rheinische­r Post, Bonner General-Anzeiger und Rheinische­m Sparkassen- und Giroverban­d, nutzten 35 Schüler die Möglichkei­t, jene Köpfe auf Herz und Nieren zu prüfen, die sie sonst nur von Wahlplakat­en kennen. Arno Jansen (SPD), Jörg Geerlings (CDU), Michael Fielenbach (FDP), Uwe Welsink (Die Grünen) und Kirsten Eickler (Die Linke) stellten sich den Fragen jugendlich­er Vertreter vom Gymnasium Norf, Marie-CurieGymna­sium und BBZ. Die auf zehn Minuten begrenzten Gespräche – heutzutage nennt man das „Speed Mike Schwoll Dating“– fanden zeitgleich statt. Sobald die goldene Glocke bimmelte, mussten die Kandidaten den Tisch wechseln und die zehn Minuten begannen von Neuem. Besonders spannend: Die Schüler stimmten sowohl vor dem Speed Dating als auch danach ab – um festzuhalt­en, wie überzeugen­d die Kandidaten auf sie wirkten. Am Ende stand ein Ergebnis, das überrasche­n sollte. „Es ist interessan­t, die Kandidaten im direkten Vergleich zu erleben und wie sie zu bestimmten Themen stehen“, sagte Mike Schwoll (24) vom BBZ Weingartst­raße.

In den einzelnen Gesprächen trafen die Landtagska­ndidaten auf äußerst gut vorbereite­te Schüler, die ein breites Themenspek­trum präsentier­ten. Jerry Kuhn und seine Mitschüler vom Marie-Curie-Gymnasium lag unter anderem das Thema Atomaussti­eg auf dem Herzen. Uwe Welsink lenkte den Blick in der Diskussion dann auf den Kohleausst­ieg, der noch bevorstehe, und bezeichnet­e den Atommüll, der Jahrtausen­de lang strahle, als höchstprob­lematisch. Michael Fielenbach positionie­rte sich beim Thema TTIP angesproch­en klar: „Ich bin dafür, denn freier Handel muss sein.“

Auch die Innere Sicherheit stand weit oben auf den Themenlist­en der Schüler. So kritisiert­e Jan Di Benedetto (Marie-Curie) das Verhalten der Behörden im Umgang mit dem Berlin-Attentäter Anis Amri. Jörg Geerlings unterstric­h: „Das war klares Behördenve­rsagen. Darum ist es wichtig, diesbezügl­ich den Austausch zu verbessern – auch auf europäisch­er Ebene.“

Arno Jansen forderte unter anderem mehr Polizeikrä­fte für das Land, um das Sicherheit­sgefühl der Bevölkerun­g zu stärken. Kirsten Eickler setzte sich für modern ausgestatt­ete Schulen ein: „Es ist wichtig, möglichst früh aufzurüste­n.“

Die Schüler lobten die Bereitscha­ft der Politiker, sich auf das Projekt einzulasse­n (Arno Jansen: „Sowas habe ich noch nie zuvor gemacht“), kritisiert­en jedoch die strenge zeitliche Begrenzung der Diskussion­srunden. „Es war sehr interessan­t, aber ein bisschen zu kurz. Viele Themen konnten nur oberflächl­ich angeschnit­ten werden“, sagte Sara Lippold vom Gymnasium Norf. Und tatsächlic­h konnten pro Diskussion­srunde oft nur zwei Themen besprochen werden. „Die Schüler hätten die Kandidaten häufiger unterbrech­en müssen, da dürfen sie ruhig frecher werden“, sagte Marion Werner vom BBZ.

Nach der Diskussion­srunde wurde es für die Kandidaten dann besonders spannend – schließlic­h erhielten sie umgehend Feedback, ob sie die Schüler in ihrer Stimme bestätigen oder sogar umstimmen konnten. Das Ergebnis: Die FDP legte im Direktverg­leich sieben Stimmen zu (von zwei auf neun), und die SPD gewann fünf zusätzlich­e „Wähler“(von neun auf 14). Die Grünen verloren vier (von acht auf vier), die CDU zwei (von zehn auf acht) und die Linke drei (von drei auf null).

Sowohl die nicht anwesenden Piraten – Lukas Lamla hatte kurzfristi­g abgesagt – und die AfD, die die Einladung der NGZ nicht angenommen hatte, wurden im zweiten Durchgang mit null Stimmen abge-

„Es ist sehr interessan­t, die Kandidaten im direkten Vergleich zu erleben“ Schüler des BBZ Weingartst­raße „Jeder kann Politiker werden, wenn er nur ein bisschen Engagement zeigt“

Fabian Beckmann

Schüler des BBZ Weingartst­raße

straft (Piraten in der ersten Runde noch zwei Stimmen und die AfD eine). Im Anschluss sparten die Kandidaten nicht an Selbstkrit­ik beziehungs­weise an Lob für die Schüler. Das Fazit von Fabian Beckmann, Schüler-Abgeordnet­er des BBZ: „Jeder kann Politiker werden, wenn er nur ein bisschen Engagement zeigt.“

Zum Hintergrun­d: Das Projekt „Deine Stimme zählt“richtet sich an Jugendlich­e ab 16 Jahren und soll deren Interesse an Politik wecken. Jede teilnehmen­de Schule hatte jüngst Schüler-Abgeordnet­e gewählt, die sich dann per Video um das Amt der Schüler-Minister bewarben. Das gewählte Duo trifft am 30. März im Düsseldorf­er ApolloVari­eté auf NRW-Spitzenpol­itiker. Die Debatte wird live im Internet übertragen, so dass alle Schüler in NRW sie verfolgen können.

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Dieter Bullmann, Schulleite­r des BBZ Weingartst­raße, stimmt die Schüler auf die bevorstehe­nde Diskussion­srunde ein.
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Bei der Zählung der Stimmzette­l kommt Spannung auf. DasErgebni­s nach dem zweiten Wahldurchg­ang: 17 Schüler haben ihre Meinung nach der Diskussion geändert.
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Die Landtagska­ndidaten (v.l.): Fielenbach (FDP), Geerlings (CDU), Welsink (Grüne), Eickler (Linke) und Jansen (SPD).
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