Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Held von Augsburg“

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Eine olympische Medaille hat er nie gewonnen. Platz sechs bei den Spielen 1960 in Rom über 3000 m Hindernis ging in die Annalen ein. Zu einem großen internatio­nalen Titel hat es auch nicht gereicht. Und dennoch ist er eine Legende, an die man sich unwillkürl­ich erinnert, wenn jetzt in Rio die besten Langstreck­enläufer der Welt ihre Runden drehen. Ein einziges Ereignis hat Ludwig Müller unsterblic­h gemacht.

Es waren der 20. und 21. September 1958 im Augsburger Rosenausta­dion. Die Mannschaft des Deutschen Leichtathl­etik-Verbandes bestritt gegen das Team der UdSSR einen der seinerzeit überaus populären Länderkämp­fe. Ludwig Müller trat gegen die scheinbar übermächti­gen sowjetisch­en Läufer an.

Der krasse Außenseite­r gewann sensatione­ll die Rennen über 5000 m in 14:06,8 Minuten und über 10.000 m (29:52,6 Minuten) und legte damit das Fundament zum 115:105-Sieg der gastgebend­en Mannschaft gegen den hohen Favoriten. Dank dieses Geniestrei­chs ging Müller als „Held von Augsburg“in die Geschichte ein. Als solcher wird er heute noch verehrt.

Der Mann mit dem mächtigen Brustkorb stammte aus Wesel. Er war auf kuriose Art und Weise zu seinem Sport gekommen. Als junger Bursche spielte er Fußball in einer unterklass­igen Mannschaft seiner Heimatstad­t. Seine Besonderhe­it war, dass er zu vielen Auswärtssp­ielen joggte und nach 90 Minuten Kicken auch wieder zurücklief. Irgendwann riet ihm ein Mitspieler, es doch mal mit dem Langstreck­enlauf zu versuchen. Müller folgte dem Rat und fand sich zu seiner eigenen Verblüffun­g nur wenig später in der deutschen Spitzenkla­sse wieder. Sieben mal wurde er nationaler Meister.

1962 folgte er dem Ruf des KSV Hessen Kassel. Die Stadtverwa­ltung dort hatte den gelernten Maurer mit dem Angebot gelockt, die Position als Bauleiter beim Tiefbau-Amt zu übernehmen. Nebenbei ließ sich Müller zum Masseur ausbilden und betreute einige Jahre die Fußballer von Hessen Kassel sowie bei Olympia 1972 in München die deutsche Ringer-Nationalma­nnschaft.

Noch immer lebt der „Held von Augsburg“, 84-jährig, in Kassel. Das Leben hat es gut mit ihm gemeint.

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