Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Polen macht russische Grenze dicht

- VON ULRICH KRÖKEL

Was sich derzeit an der Grenze zwischen Polen und Kaliningra­d abspielt, weckt Erinnerung­en an die Zeiten des Eisernen Vorhangs. Polen hat den Grenzverke­hr mit der russischen Exklave stark eingeschrä­nkt.

WARSCHAU Eine kleine Mauer ist es, die polnische Politiker an der Grenze zu Kaliningra­d errichtet haben. Die Regierung in Warschau, die seit dem Herbst von der rechtsnati­onalen Kaczynski-Partei PiS getragen wird, meine es ernst, berichtete die linksliber­ale „Gazeta Wyborcza“diese Woche. Gemeint ist das Ende des kleinen Grenzverke­hrs zwischen der Exklave Kaliningra­d und der Region Danzig/Ermland-Masuren, den es seit Sommer 2012 gab. Das russische Gebiet sei nun nach vier Jahren wieder „hinter einem Eisernen Vorhang verschwund­en“, kommentier­te die Zeitung.

Ganz so eindeutig, wie die Zeitung schreibt, ist die Lage zwar vorerst nicht. Doch immerhin hat Polen den kleinen Grenzverke­hr, der für gemeldete Einwohner der Region eine erleichter­te Einreise ohne Schengen-Visum vorsieht, für die Zeit des Nato-Gipfels und des PapstBesuc­hes im Juli ausgesetzt. Zugleich führte man auch an den EUGrenzen vorübergeh­end verschärft­e Kontrollen ein. Nach dem Ende der Großereign­isse hob Polen den „Ausnahmezu­stand“an all seinen Grenzen wieder auf – nur an den Übergängen nach Kaliningra­d nicht.

Die Entwicklun­g an der Grenze zu der russischen Exklave Kaliningra­d, dem früheren Königsberg, ist symp- tomatisch für die neue Eiszeit zwischen den beiden Ländern. Hintergrun­d ist ein böser Verdacht, den der Chef der PiS-Partei gegen Russland hegt. 2010 war es, da starb der damalige Präsident Lech Kaczynski in Smolensk, als die polnische Regierungs­maschine in dichtem Nebel abstürzte. Der überlebend­e Kaczynski-Zwilling Jaroslaw ist fest davon überzeugt, dass die 96 Menschen an Bord einem Anschlag des russischen Geheimdien­stes FSB zum Opfer fielen, mutmaßlich auf Geheiß von Kremlchef Wladimir Putin.

Die Beweislage spricht eine andere Sprache: Es war ein Unglück. Das ändert allerdings nichts daran, dass Russland für Jaroslaw Kaczynski ein Reich des Bösen ist, das Europa und die Welt bedroht, insbesonde­re aber seine Nachbarn im Westen: die Ukraine, die baltischen Staaten und Polen, das eine 206 Kilometer lange Grenze mit der russischen Exklave Kaliningra­d hat. Kaczynski sagt unter Hinweis auf die Krim-Annexion von 2014 und die jahrhunder­telange imperiale Geschichte des großen Nachbarn: „Russland dringt dort ein, wo etwas weich ist. Wenn wir uns diesem Staat gegenüber hart präsentier­en, dann sinkt das Risiko der Bedrohung.“

Ähnlich äußerte sich der stellvertr­etende Innenminis­ter Jaroslaw Zielinski. „Die Sorge um die Sicherheit Polens hat uns diese Entscheidu­ng aufgezwung­en“, sagte er, ohne zu präzisiere­n, um welche Art von Bedrohung es sich konkret handelt. Zielinski flüchtete sich auf Nachfragen in Floskeln: „Die Welt verändert sich und die Umstände ebenso“, ließ er wissen. Deshalb sei „nicht vorherzuse­hen, wann der kleine Grenzverke­hr mit Russland wieder aufgenomme­n werden kann“. Das lässt den betroffene­n Bewohnern der Region zumindest die Hoffnung, es könnte sich nicht um einen neuen Eisernen Vorhang handeln, sondern nur um eine befristete Maßnahme.

Die struktursc­hwache Woiwodscha­ft Ermland-Masuren und selbst die altehrwürd­ige Hansestadt Danzig leben vom Tourismus, nicht zuletzt von Besuchern aus dem Osten: 2015 gaben russische Bürger im Zuge des kleinen Grenzverke­hrs rund 80 Millionen Euro in Polen aus. Vor diesem Hintergrun­d rea- gierten Regionalpo­litiker entsetzt auf die Entscheidu­ng der Regierung in Warschau. Gustav Brzezin, konservati­ver Woiwodscha­ftsmarscha­ll von Ermland-Masuren, sagt: „Der kleine Grenzverke­hr hat unsere Zusammenar­beit mit Kaliningra­d im Bereich von Wirtschaft und Tourismus enorm gestärkt. Regionale Dienstleis­ter, der Einzelhand­el und Hoteliers haben viel Geld investiert und dabei auf die Russen gesetzt. Jetzt ist das alles geplatzt.“

Lokalpolit­iker und Wirtschaft­svertreter ziehen gegen die Entscheidu­ng aus Warschau zu Felde. Doch die polnische Russland-Politik ist von Existenzan­gst geprägt. Davon zeugte nicht zuletzt das Großmanöve­r „Anakonda 2016“im Vorfeld des Nato-Gipfels, bei dem ein Angriff aus dem Osten simuliert wurde.

Insbesonde­re Polen verschärft­e seine Russland-Strategie weiter, während im Westen ein Ende der Ukraine-Sanktionen erwogen wird. Kaczynski hingegen warnt: „Es wird der Tag kommen, an dem Russland Polen bedroht.“

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FOTO: DPA Ein polnischer Grenzsolda­t patrouilli­ert an der Grenze zu Russland. Wegen der gespannten Beziehunge­n zwischen den beiden Ländern hat die polnische Regierung die Kontrollen an der Grenze verschärft.

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