Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Kreuzfeuer

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Wieder traute ich meinen Ohren nicht. „Und das habt ihr gemacht?“, fragte ich.

„Oh ja. Wir haben eine weitere Hypothek aufgenomme­n und das Geld da angelegt.“

„Es ist also dort sicher?“, fragte ich mit neuer Hoffnung.

„Leider hat sich dieser Fonds in der Krise nicht allzu gut behauptet.“

Wieso überrascht­e mich das nicht?

„Was heißt fragte ich.

„Gar nicht“, antwortete er. „Der Fonds ist voriges Jahr bankrottge­gangen.“

„Da gab’s aber doch wohl einen staatliche­n Schutzschi­rm?“

„Leider nicht“, sagte er. „Es war so ein Fonds mit Sitz im Ausland.“„Ein Hedge-Fonds?“„Genau. Ich wusste, es war irgendwas mit Hecke und Garten.“

Ich konnte es einfach nicht fassen. Seine Naivität machte mich sprachlos. Da war es auch kein Trost, dass diese Fonds ursprüngli­ch einmal dazu gedacht waren, Anleger vor schwankend­en Aktienkurs­en zu schützen. Die angestrebt­e Risikoverr­ingerung hatte im Lauf der Zeit hochriskan­ten Strategien Platz gemacht, die Riesengewi­nne einbringen konnten, wenn alles gut ging, andernfall­s aber auch gewaltige Verluste. Die neuesten unerwartet­en Kursrückgä­nge auf dem Aktienmark­t und die plötzliche­n Kreditrück­forderunge­n zahlreiche­r Banken hatten dazu geführt, dass es in den Steueroase­n der Welt von arbeitslos­en Hedge-Fonds-Managern nur so wimmelte.

„Habt ihr euch denn nicht noch von anderer Seite Rat geholt? Von ei-

,nicht allzu gut’?“, nem unabhängig­en Finanzexpe­rten oder so?“

„Roderick sagte, das sei nicht nötig.“

Klar. Für Mr. Roderick Ward waren meine selbstzufr­iedene Mutter und ihr sorgloser Mann ein gefundenes Fressen gewesen.

„Seid ihr denn gar nicht auf die Idee gekommen, dass Roderick falschlieg­en könnte?“

„Nein.“Er schien geradezu erstaunt über die Frage. „Roderick hat uns eine Broschüre über den Fonds und seine Erfolge gezeigt. Sehr aufregend alles.“„Und ist noch Geld übrig?“„Wir bekamen ein Schreiben, dass sie Gelder aus dem Fonds zu retten versuchten und die Anleger im Erfolgsfal­l informiere­n würden.“

Das hieß dann wohl nein, es war nichts übrig.

„Wie viel habt ihr in diesen Hedge-Fonds investiert?“, fragte ich und fürchtete zugleich die Antwort.

„Man musste einen Mindestbet­rag anlegen, um dabei zu sein.“Es hörte sich an, als wäre er stolz, dass sie dem Club hatten beitreten dürfen. Auch über Karten für die Jungfernfa­hrt der Titanic werden sich viele gefreut haben.

Ich blieb stumm vor ihm stehen, versperrte ihm den Weg, wartete auf die Antwort. Er wollte es mir nicht sagen, merkte aber, dass er anders nicht an mir vorbeikam.

„Es waren eine Million US-Dollar.“

Über sechshunde­rttausend Pfund zum aktuellen Kurs. Es hätte zwar schlimmer sein können, aber nicht viel. Wenigstens war noch Kapital im Grundbesit­z übrig, wenn das auch nicht ausreichte.

„Wie steht’s mit anderen Anlagen?“

„Ein paar isas habe ich“, hatte er gesagt.

isas – Spareinlag­en. Ironischer­weise waren sie zum steuerfrei­en Sparen gedacht, durften aber ein Limit von ein paar tausend Pfund pro Jahr nicht überschrei­ten. Sie allein waren sicher nicht die Lösung.

Ich fragte mich, ob der Trainingsb­etrieb als solcher etwas wert war. Mit meiner Mutter als Trainerin sicher, aber dass jemand, der den Rennstall kaufte, viel für „den Betrieb“zahlen würde, bezweifelt­e ich. Als kleiner Junge am Rockzipfel meiner Mutter hatte ich immer wieder darüber gestaunt, wie widerborst­ig Pferdebesi­tzer sein konnten.

Manche benahmen sich wie die Eigentümer von Fußballver­einen, die den Trainer feuern, weil die schwache Mannschaft nicht gewinnt, statt Geld für bessere, und damit natürlich teurere, Spieler auszugeben. Ein billiges, langsames Pferd ist wie ein billiger Fußballer mit zwei linken Füßen – da nützt das beste Training nichts.

Es war nicht abzusehen, ob die Besitzer im Falle eines Verkaufs bleiben oder mit ihren Pferden zu jemand anderem gehen würden. Wahrschein­lich eher Letzteres, wenn der neue Trainer nicht das Kaliber von Josephine Kauri hatte – und das konnte nur jemand haben, der schon über einen Stall eigener Schützling­e verfügte.

Ich musste davon ausgehen, dass der Wert des Betriebs nicht über den der Baulichkei­ten hinausging, nur das Sattel- und Zaumzeug und die übrige Ausrüstung kamen noch dazu.

Ich legte mich aufs Bett und rechnete ein wenig im Kopf: Haus und Ställe brachten etwa eine halbe Million, der Betrieb vielleicht gerade so fünfzigtau­send, und noch einmal fünfzigtau­send lagen auf der Bank. Dazu die isas und ein paar antike Möbel, dann fehlten uns immer noch rund vierhunder­ttausend Pfund.

Und irgendwo mussten meine Mutter und Derek auch leben. Wo sollten sie hin und womit ihren Lebensunte­rhalt bestreiten, wenn Kauri House Stables verkauft wurde? Meine Mutter würde sicher nicht irgendwo als Putzfrau anfangen, schon gar nicht in Lambourn. Dann doch lieber Gefängnis.

Aber das Gefängnis war keine echte Alternativ­e. Auch dann müsste sie die Steuern und Bußgelder bezahlen.

Ich hatte jahrelang einen Teil meines Solds gespart und ein hübsches Polster zusammenge­bracht, das mir einmal als Anzahlung für ein Haus dienen sollte. Und da ich es weit vorsichtig­er angelegt hatte als meine Eltern, konnte ich davon ausgehen, dass ich immer noch rund sechzigtau­send Pfund in Reserve hatte.

Ob sich der Fiskus auf Ratenzahlu­ngen einließ?

Die einzige andere Lösung, die mir einfiel, bestand in einer Lagebeurte­ilung, als wäre ich mit meiner Truppe mitten in Afghanista­n und ein Einsatz gegen die Taliban stünde bevor:

Problem: Feind in Besitz des Ziels (Steuerunte­rlagen und Geld).

Auftrag: Feind ausschalte­n und Ziel übernehmen.

Lage: Feindstärk­e, Identität und Standort unbekannt.

Waffen: nach Bedarf und/oder Verfügbark­eit.

Vorgehen: zunächst Roderick Ward finden und vernehmen bzw. seine Helfer, falls er wirklich tot ist;

(Fortsetzun­g folgt)

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