Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Platz 2: Michael Hanekes „Liebe“

Ein großer Liebesfilm über die größte Herausford­erung im Leben: das Alter.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Nach dem Klavierabe­nd in einem gediegenen Pariser Konzertsaa­l sitzen Anne und Georges in der Straßenbah­n und plaudern. Ihre Wangen glühen, seine Gesten sind lebhaft, die beiden sehen glücklich aus. Man spürt sofort das Vertrauen zwischen ihnen, das Einverstän­dnis und die Zärtlichke­it, die sie sich bewahrt haben. Und weil Michael Haneke diesen Film gemacht hat, weiß man, dass dieses Glück gefährdet ist. Dass dieses anmutige Paar Grausames erleben wird. Die Grausamkei­t des Alters.

Trotzdem ist „Liebe“ein warmer Film und damit untypisch für Hanekes Werk. Der Regisseur blickt sonst mit größter Nüchternhe­it und Distanz auf das Leben, beobachtet, wie Menschen Böses widerfährt oder wie sie sich gegenseiti­g quälen. Mit dieser Haltung hat er herausrage­nde, schwer erträglich­e Thriller wie „Funny Games“geschaffen, in dem Susanne Lothar und Ulrich Mühe von zwei Schnöseln zu Tode gequält werden. Ohne ersichtlic­hen Grund. Weil sie es können. Auch sein vielfach ausgezeich­neter Schwarzwei­ßFilm „Das weiße Band“über die demütigend­en Machtstruk­turen in ei- nem fundamenta­listisch protestant­ischen Dorf des 19. Jahrhunder­ts ist äußerlich völlig ruhig. Haneke stellt aus, er ist ein unbestechl­icher Beobachter falscher Zustände, doch überlässt er das Urteilen seinen Zuschauern.

In „Liebe“ist das anders. Der Film ist weich, mitfühlend und kommt seinen herausrage­nden Hauptdarst­ellern Emmanuelle Riva und JeanLouis Trintignan­t sehr nahe. Trotzdem verbietet sich Haneke wieder jedes Pathos. Es gibt keine Filmmusik, die Gefühle schüren wollte, dafür die für diesen Regisseur typischen langen Kamera-Einstellun­gen, die dem Zuschauer Zeit lassen, sich in die Geschichte einzufinde­n.

„Liebe“erzählt, wie die Klavierleh­rerin Anne zum Pflegefall wird. Nach einer misslungen­en Operation ist sie zunächst halbseitig gelähmt und nimmt ihrem Mann das Verspreche­n ab, sie nie wieder in fremde Obhut zu geben. Doch George ist mit der Pflege bald überforder­t, so isoliert sich das Paar immer mehr und bleibt allein mit der Qual, sich langsam aus einem selbststän­digen Leben in Würde verabschie­den zu müssen.

Es gibt drastische Momente in diesem Film, aber er ist kein klassische­s Sozialdram­a, dafür leben Anne und Georges zu großbürger­lich. Es geht nicht um Pflegenots­tand oder Altersarmu­t, sondern um die Liebe. Was sie fordert. Und wie lange sie dem Altwerden standhalte­n kann. Es ist nicht leicht, das mit Hanekes Blick ansehen zu müssen. Trotzdem ist dieser Film nicht pessimisti­sch. Er glaubt an die Liebe. Aber er weiß um die Endlichkei­t. Siegerfilm Wir setzen die Serie am Samstag mit Platz 1 der Bestenlist­e fort.

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