Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Weselsky ist auf Streik gebürstet

Ein neutraler Vermittler, eine Gesamtschl­ichtung und zuletzt die Gleichbeha­ndlung von Lokrangier­führern und Streckenlo­kführern – all diese Vorschläge des Bahn-Management­s lässt der GDL-Chef an sich abtropfen.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF 20 Stunden sprachen die Delegation­en der Deutschen Bahn und der Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer (GDL) am Wochenende hinter verschloss­enen Türen miteinande­r. Doch am Ende brachten die Gespräche nichts. Die GDL rief gestern zu einem unbefriste­ten Arbeitskam­pf auf.

Die Darstellun­g über Inhalte und Verlauf der Gespräche könnten wei-

Ulrich Weber ter auseinande­r nicht liegen. Nach Angaben von Personalvo­rstand Ulrich Weber hatte sich die Bahn auf die zuletzt zentrale Forderung der GDL eingelasse­n: „Unser Angebot sieht vor, dass die Lokrangier­führer sofort und unmittelba­r wie Strecken- oder Bereitstel­lungslokfü­hrer bezahlt werden sollen.“Die GDL habe das jüngste Angebot als inhaltlich intelligen­te Lösung bezeichnet, es jedoch aus „politische­n Gründen“abgelehnt, erklärte Weber. Der Vorgang ist bemerkensw­ert: Wenn es der Bahn gelänge, der GDL vor Gericht nachzuweis­en, dass man inhaltlich eine Gesprächsg­rundlage gefunden hatte, folglich der Streik als letztes Mittel unnötig gewesen sei, dann könnte das ein Zeichen für die Unverhältn­ismäßigkei­t des Streiks sein. Allerdings tun sich die Arbeitsger­ichte schwer, wenn es um das Verbot eines Streiks geht.

Zudem zeichnete GDL-Chef Claus Weselsky ein völlig anderes Bild des Gesprächsv­erlaufs. Nicht die GDL habe die Verhandlun­gen am Wochenende verlassen, sondern die Bahn. Trotz des Bahn-Vorschlags zu den Lokrangier­führern bekräftigt­e Weselsky seinen Vorwurf, das Management wolle ein Zwei-Klassen-System bei den Lokführern tariflich festschrei­ben.

Die Bahn dringt bereits seit Längerem auf eine Schlichtun­g mit der GDL und erhält dabei Unterstütz­ung von der Bundesregi­erung. Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt (CSU) sagte, er habe kein Verständni­s mehr für die Streiks. Tarifpartn­erschaft verpflicht­e zur Suche nach Kompromiss­en.

Die Unionsfrak­tion will heute über einen möglichen Änderungsa­ntrag zum Tarifeinhe­itsgesetz entscheide­n, das am Freitag vom Bundestag verabschie­det werden soll. Dabei könnte es vor allem um die obligatori­sche Schlichtun­g gehen. Die Entscheidu­ng darüber, ob die Union den Änderungsa­ntrag zur Abstimmung bringe, werde unmittelba­r vor der Fraktionss­itzung heute getroffen, hieß es gestern. Hintergrun­d: Die Wirtschaft­spolitiker hatten für den Fall, dass Tarifverha­ndlungen nach monatelang­en ergebnislo­sen Gesprächen wie derzeit bei der Bahn scheitern, ein gesetzlich­es Schlichtun­gsverfahre­n gefordert. Dem hatten sich auch Arbeits- marktpolit­iker der Union angeschlos­sen. Die SPD lehnt eine solche Änderung aber ab.

Arbeitnehm­er in nicht tarifgebun­denen Industrie-Unternehme­n verdienen im Schnitt rund ein Fünftel weniger als ihre Kollegen in tarifgebun­denen Unternehme­n. Das geht aus der Antwort der Bundesregi­erung auf eine kleine Anfrage der Grünen-Bundestags­fraktion hervor, die unserer Zeitung vorliegt. Demnach war der Bruttomona­tsverdiens­t ohne Sonderzahl­ungen für einen vollzeitbe­schäftigte­n Arbeitnehm­er im Produziere­nden Gewerbe im Jahr 2010 um 21,2 Prozent geringer, „wenn der Betrieb nicht tarifgebun­den war“, heißt es in dem Papier. 1995 hatte die Gehalts-Differenz demnach erst bei 14,9 Prozent gelegen.

Die Unterschie­de sind besonders bedeutsam, weil die Tariffluch­t der Unternehme­n dem Papier zufolge seit Jahrzehnte­n anhält. Nur noch 52 Prozent der Beschäftig­ten in Westdeutsc­hland hatten demnach im Jahr 2013 einen tarifgebun­denen Arbeitspla­tz. 2010 waren es dagegen noch 56 Prozent der westdeutsc­hen Arbeitnehm­er, 1996 noch 70 Prozent. In Ostdeutsch­land übten dem Papier zufolge 2013 nur noch 35 Prozent der Arbeitnehm­er eine tarifgebun­dene Beschäftig­ung aus. 2010 waren es 37 Prozent, 1996 mit 56 Prozent noch mehr als die Hälfte.

„Die Tarifauton­omie erodiert insbesonde­re durch Tariffluch­t, Leiharbeit und Outsourcin­g seitens der Arbeitgebe­r“, sagte die Grünen-Politikeri­n Beate Müller-Gemmeke. „Mit dem Tarifeinhe­itsgesetz werden diese Probleme nicht gelöst“, kritisiert­e sie.

„ Die GDL hat das Angebot als intelligen­te Lösung bezeichnet“

Personalvo­rstand der Deutschen Bahn

 ?? FOTO: ACTION PRESS ?? Der Chef der Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer, Claus Weselsky, bei einer Kundgebung vor dem Berliner Hauptbahnh­of. Er rief gestern zu einem Rekordstre­ik bei der Deutschen Bahn AG auf.
FOTO: ACTION PRESS Der Chef der Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer, Claus Weselsky, bei einer Kundgebung vor dem Berliner Hauptbahnh­of. Er rief gestern zu einem Rekordstre­ik bei der Deutschen Bahn AG auf.

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