Neue Westfälische - Paderborner Kreiszeitung

Kleider als Protagonis­ten

Glamour, Glanz, Genie: Mehrere aktuelle Serien beleuchten das Leben von Modezaren früherer Tage

- Jan Freitag

Hannover. Vielleicht begann ja alles mit einem „Kleid von Dior“. Das nämlich wollte Inge Meysels englische Putzfrau Doris in Peter Wecks Tv-komödie haben, um ihr trübes Dasein auszuleuch­ten. 1600 Pfund wollte sie sich zusammensp­aren, um das Luxusstück tragen zu können. Was für ein surrealer Gedanke! Denn fürs deutsche Publikum, das Glamour 1982 noch mit Dallas verwechsel­te und Mode mit C&A, war die Haute Couture weiter weg vom bürgerlich­en Alltag als Fernseher ohne Röhren, Derrick, Sendeschlu­ss.

Der Film ist zwar popkulture­ll Lichtjahre her, aber voll im Trend. Schließlic­h konkurrier­en 42 Jahre später gleich drei gehobene Schneider um Zuschauer. Seit Februar porträtier­t Appletv+ in „The New Look“den großen Christian Dior. Kurz zuvor feierte Disney+ den Spanier „Cristóbal Balenciaga“als Stilikone der Vor- und Nachkriegs­zeit. Richtung Herbst dann zwängt sich Daniel Brühl auf gleichem Portal durch „Kaiser Karl“Lagerfelds Vatermörde­rkragen. Fast 20 Jahre, nachdem der Teufel mit Meryl Streep als „Vogue“-domina Anna Wintour auf Leinwand Prada trug, trägt nun also auch der Flatscreen fürstliche Textilien. In Film & Fernsehen, sagt Marisa Buovolo, spiegelt die Haute Couture eben „nicht nur unsere Sehnsucht nach der alten Grandezza abgehobene­r Genies“wider; deren Kleider, weiß die Modesoziol­ogin der Uni Hamburg, „sind auch ohne CGI oder CFX schon Spezialeff­ekte“, ja: „eigenständ­ige Protagonis­tinnen.“

Um die Bildschirm­e derzeit erfolgreic­h zu erobern, brauchen edle Fummel folglich weder Stars noch Computer, geschweige denn kreative Kostümbild­ner. Luxusmode hat eigenständ­ig Stil und Haltung, Prosa und Poesie, Genie und Wahnsinn, Hülle und Fülle. Sie ist aktuell und nostalgisc­h, elitär und alltäglich, nüchtern berauscht und damit ideal für funkensprü­hende Realfiktio­nen. Neu ist hingegen, wie politisch sie jetzt sein darf.

Während Ende der Nullerjahr­e gleich vier Romanzen mit „Coco Chanel“im Titel kein schlechtes Haar am – real eher unsympathi­schen – Original und ihrer Branche ließen, leuchten Regisseure endlich dunklere Ecken der Haute Couture aus. In „The New Look“zum Beispiel wird Christian Dior von Pariser Studenten 1955 gefeiert – nur um Sekunden später damit konfrontie­rt zu werden, im besetzten Paris mit Nazis kollaborie­rt zu haben. Ein Vorwurf, der bei Disney und Apple auch Coco Chanel und Cristóbal Balenciaga trifft.

Damit vertreibt das neue Kino Serie die alten Götter zwar nicht ganz vom Olymp. Es verpasst ihnen aber einen Realitätsc­heck, der den lustvoll chauvinist­ischen Kaiser Karl ebenso erwischen dürfte wie zuletzt Gianni Versace.

Dessen Ermordung tauchte Sky 2018 genüsslich in Realcrime-blut, bevor Ewan Mcgregors Jetset-designer „Halston“drei Jahre darauf bei

Netflix über fünf funkensprü­hende Folgen hinweg einem Cocktail aus Drogen, Aids und Eitelkeit zum Opfer fiel.

„Wir können Widersprüc­he solcher Filmfigure­n jetzt eben besser ertragen“, beschreibt die Szenekenne­rin Buovolo den Elfenbeint­urm, der unterm Dach bröckeln mag. Sein Sockel wurde eher breiter, als Laufstegst­ars von Cindy Crawford bis Kate Moss ihrer Kleidung buchstäbli­ch den Rang abliefen. Und seit Tyra Banks 2003 „America’s Next Top Model“suchte, das bei Heidi Klum längst dick, alt, trans, sogar männlich sein darf, hat sich die „Demokratis­ierung der High Fashion“(Buovolo) im Sog sozialer Medien nochmals beschleuni­gt.

Haben Modeschöpf­er früher Distinktio­nsbedürfni­sse der oberen Zehntausen­d bedient, steigen die Influencer der Selbstopti­mierungsök­onomie also zu den unteren acht Milliarden hinab. Die können sich zwar meist nur Plagiate leisten. Im Sog sozialer Medien aber übt das Hochpreiss­egment den Spagat zwischen Exklusivit­ät und Masse, Yves Saint Laurent und Guido Maria Kretschmer. Dem Fernsehen bringt das neben guter Unterhaltu­ng auch Diversität. Biopics über Vivienne Westwood und Jean-paul Gaultier sind bestimmt längst in Arbeit.

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Foto: Roger Do Minh/apple TV+ „The New Look“: In der Serie geht es um die Mode von Christian Dior – zu sehen bei Apple TV+.
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Foto: Atsushi Nishijima/netflix Halston: In der Serie spielt Ewan Mcgregor einen Modedesign­er, der nach seinem Aufstieg tief fällt.
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Foto: Roger Do Minh/appletv+ Der Modeschöpf­er: Ben Mendelsohn spielt Christian Dior.

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