Neue Westfälische - Herforder Kreisanzeiger
Koloniales Erbe auf Herfords Straßen
Auf drei Herforder Schildern stehen noch immer die Namen von Kolonialisten, die im 19. Jahrhundert Gräueltaten an der afrikanischen Bevölkerung verübt haben.
Herford. Sollten Straßen die Namen von Kolonialisten tragen? Diese Frage wird in immer mehr deutschen Städten diskutiert. In Herford kam der Umgang mit dem kolonialen Erbe zuletzt 2008 auf die Tagesordnung im Stadtrat. Damals wurde die Petersstraße umgewidmet. Diese hatte zuvor den deutschen Kolonialisten Carl Peters geehrt, der im 19. Jahrhundert den Grundstein für die deutschen Kolonien im heutigen Tansania legte. Seit 2008 ist die Petersstraße Hans Peters gewidmet, einem Widerstandskämpfer im Dritten Reich. In Herford gibt es aber noch immer drei Straßen, die Kolonialisten des deutschen Kaiserreichs ehren: die Wissmann-, Nachtigalund Lüderitzstraße.
Expertin für die koloniale Vergangenheit Deutschlands ist Marianne Bechhaus-Gerst. Sie ist Professorin für Afrikanistik an der Universität Köln und verfasste mehrere Gutachten, in denen sie beurteilte, ob bestimmte Straßen umbenannt werden sollten – so auch zu den Straßen, die nach Hermann von Wissmann und Gustav Nachtigal benannt sind. Sie kam zu dem Ergebnis, dass beide Straßen umbenannt werden sollten: „Man muss beide – Wissmann noch mehr als Nachtigal – als koloniale Täter bezeichnen. Sie sind beide gewalttätig in Übersee vorgegangen.“
Wer war Hermann von Wissmann?
Hermann von Wissmann war Offizier und Begründer der „Schutztruppe von Deutsch-Ostafrika“. Er kämpfte gegen die einheimische Bevölkerung im Gebiet des heutigen Togo und Kamerun, wo er laut Bechhaus-Gerst, „mit äußerster Gewalt vorging“.
Unter seinem Kommando wurden Dörfer niedergebrannt, Felder verwüstet, Gefangene in großer Zahl exekutiert. Auch gibt es, laut Bechhaus-Gerst, Belege dafür, dass Wissmann Sklaven für sich arbeiten ließ und Mittel veruntreute. Schon zu Lebzeiten soll Wissmann von Politikern des Deutschen Reichs für sein brutales Vorgehen in den Kolonien kritisiert worden sein.
Dass ihm zu Ehren eine Straße benannt wurde, geschah erst in der NS-Zeit: Im Mai 1937 wurde eine zuvor namenlose Straße Wissmann-Straße genannt. Am selben Tag bekam auch die Nachtigalstraße ihren Namen.
Wer war Gustav Nachtigal?
Die Straße wurde nach Gustav Nachtigal benannt, eine der wohl umstrittensten Persönlichkeiten der deutschen Kolonialgeschichte. Einige Historiker sehen ihn als einen Kämpfer gegen die Sklaverei. Bechhaus-Gerst ist anderer Meinung: „Mit dem Argument ’Wir wollen gegen Sklavenhandel kämpfen’ ließen sich gute Leute für das Kolonialprojekt gewinnen. Tatsächlich haben die Deutschen aber an keiner Stelle etwas gegen den sogenannten arabischen Sklavenhandel unternommen.“So auch Gustav Nachtigal nicht.
Außerdem, erläutert Bechhaus-Gerst, habe Nachtigal den Abschluss sogenannter Schutzverträge im Gebiet des heutigen Togo und Kamerun erzwungen: „Mit Kanonenbooten hat er eine Drohkulis
se aufgebaut und hatte unter anderem auch zwei Geiseln an Bord, um den sogenannten Schutzvertrag zu erzwingen.“Als Schutzverträge wurden die Dokumente bezeichnet, die die Kolonialherrschaft der Deutschen besiegelten.
Auch hat Nachtigal laut Bechhaus-Gerst im damaligen Deutsch-Südwestafrika betrügerische Landerwerbsverträge beglaubigt – Verträge, die zuvor von Adolf Lüderitz mit der einheimischen Bevölkerung geschlossen wurden.
Und wer war Adolf Lüderitz?
Adolf Lüderitz reiste als einer der Ersten in das Gebiet des heutigen Namibia. Der von Lüderitz vorangetriebene Ankauf von Ländereien legte den Grundstein für die spätere Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Beim Landerwerb betrog Lüderitz jedoch die einheimischen Nama, indem er ihnen weismachte, er habe das Land in englischen Meilen vermessen – ein Maß, das den Nama bekannt war. In den Verträgen verwendete Lüderitz jedoch deutsche Meilen, die vier mal länger sind als die englischen. So erwarb er die Ländereien deutlich unter Wert.
Im Mai 1937 bekam auch die Lüderitzstraße den Namen, den sie bis heute trägt. Anders als die beiden anderen Straßen war sie jedoch zuvor nicht namenlos, sondern hieß Obere Veilchenstraße. Das fand der Stadtführer Matthias Polster heraus, als er vor einigen Jahren für ein Buch über Herfords Straßen, Plätze und Brücken recherchierte.
Auch Polster findet die Straßennamen „wirklich problematisch“. Er weiß jedoch auch um die bürokratischen Hürden, die eine Umbenennung mit sich bringt: „Das Kernproblem ist ja nicht die Umbenennung, sondern die Kosten für die Anwohner.“Diese müssten nicht nur ihre Anschrift ändern lassen – bei Versicherungen, Banken, Ämtern, dem Fitnessstudio oder Sportverein – sondern auch Personalausweise müssten geändert werden. Und damit sei
en nun mal Kosten verbunden, so Polster. Ob die Herforder Straßen, die noch immer deutsche koloniale Täter
ehren, umbenannt werden, ist letztendlich also eine Frage des Geldes. Polster hat seine Prioritäten in dieser Frage klar ab
gesteckt: „Ich würde mich freuen, wenn die Stadt die Kosten für die Anwohner übernehmen würde.“