Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West
Ostermarsch schrumpft trotz Kriegsangst
Das Dilemma der Bewegung: Es wird auf Verhandlungen gesetzt und meistens so begründet, dass keine Waffen geliefert werden sollten. Das sehen nicht alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer so.
Bielefeld.
Der Ostermarsch verwebt seine drei großen Themen miteinander: Klimawandel, Gerechtigkeit und Frieden – und so gibt es Referate zu Themen wie „Steigende Kriegshaushalte auf Kosten sozialer Gerechtigkeit“(Onur Ocak/ Linke) und „Aufrüstung und Kriege fördern die Klimaerhitzung“(Inge Höger/ Linke). Doch das Oberthema der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) sind natürlich die Fragen, die sich mit Krieg und Frieden auseinandersetzen. Ein Spagat.
Rund um Hauptrednerin Angelika Claussen geht es um Atomwaffen in Europa, die Kriege in der Ukraine und in Gaza (und in 20 weiteren Regionen), die Folgen der Kriege wie Flucht, Leid und Armut.
Nach zuletzt regelmäßig etwa1.000teilnehmerinnenund Teilnehmern kamen an diesem Karsamstag – trotz der Aktualität des Themas – nur 300 Menschenzunächstanden Hauptbahnhof und zogen dann durch die Stadt zum Jahnplatz. Gefordert wird Abrüstung, abgelehnt werden Waffenlieferungen an die Ukraine (hier gibt es spürbar verschiedene Standpunkte).
Und auch die Fragen in Gaza, von wem Gewalt ausgeht, wer Treiber des Konfliktes ist, werden durchaus strittig diskutiert. Kritisiert wird eine „nie gekannte Hochrüstung“und enorme Waffenlieferungen, gefordert wird ein Einsatz für friedliche Lösungen. Katastrophal sei, dass wieder der Einsatz von Atombomben „zum Repertoire aller großen Atommächte“gehöre. Deutschland solle sich in keiner Form an der „nuklearen Teilhabe“beteiligen – und auch nicht an „kriegsvorbereitenden Militärmanövern“teilnehmen.
Statt auf Kriegstüchtigkeit zu setzen, wie es der Verteidigungsminister fordert, sollten Gelder ins Soziale und die Bildung fließen, wo es an allen Ecken und Enden fehlt. Das moniert auch Onur Ocak, der eine „Sozialstaatswende“befürchtet, weil die militärischen Ausgaben und die Schuldenbremse nur zu Lasten des Sozialstaates gehen könne.
Irmgard Pehle (DFG): „Von 2020 bis 2024 stiegen die deutschen Rüstungsausgaben um 70 Prozent von 50 Milliarden auf 85 Milliarden Euro – das sind mehr als 1.000 Euro jährlich pro Kopf der Bevölkerung.“Gekürzt werde in den Ressorts Bildung, Soziales, Forschung, Gesundheit, Wirtschaft, Natur- und Klimaschutz, Infrastruktur und Wohnen. Folge: „Der Sozialabbau und die Militarisierung fördern das Erstarken rechtsradikaler Kräfte.“
Rolf Reinert (DFG) stellt klar, wo sich die DFG positioniert: „Wir fordern diplomatische Lösungen für die Beendigung der Kriege in der Ukraine und in Gaza.“Die in weiten Teilen der Öffentlichkeit für Verärgerung und Irritation sorgenden Vorschläge von Papst Franziskus („Mut zur weißen Fahne“als Aufforderung an die Ukraine, zu Verhandlungen bereit zu sein) sowie Spd-fraktionsvorsitzendem Rolf Mützenich („Darüber nachdenken, ob man den Krieg einfrieren und später auch beenden kann“) seien richtige Schritte „zur Deeskalation und Konfliktlösung“.
„Aufhören, Forderungen nach Waffenruhe und Frieden zu verhöhnen“
Das betont auch Angelika Claussen für den IPPNW (Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges): „Wir fordern alle Parteien in der Ampel- Koalitionundauch die CDU auf, damit aufzuhören, Forderungen nach Waffenstillstand und Frieden zu verhöhnen.“
Ein Hintergrund: Aus den drei stärksten Fraktionen (SPD, CDU, Grüne) waren vor den Ostermärschen Mahnungen zu hören, dass das Einstellen von Waffenlieferungen an die Ukraine dramatische Folgen haben werde.
Es ist ein Zwiespalt, ein Riss. Für Konfliktforscher Andreas Zick wird deutlich, dass sich die Friedensbewegung neu formieren müsse, so der Experte zur ARD. „Über die CoronaProteste und den Aufschwung des Rechtspopulismus und eine immer klarere prorussische Haltung kommen nun auch rechte Gruppen und vereinnahmen solche Rituale“, sagte er mit Blick auf die traditionell linken Ostermärsche. Es bestehe die Gefahr, unterwandert zu werden.
All die Konflikte rund um die Ostermärsche sieht auch Friedens- und Klimaaktivistin Helga Jung-paarmann (82). Doch für sie steht über allem: „Ostermärsche sind Deutschlands älteste Friedensbewegung, seit den 50ern – und das ist großartig; und heute sind die Märsche notwendiger denn je.“Doch sie sieht auch einen
Spagat. „Waffenstillstand sofort?“, fragt sie mit Blick auf ein Banner, „das kann ich nicht unterstützen. Dann erreicht Russland sein Ziel ja sofort – und was kommt dann?“
Auch beim Konflikt Israel–palästina ist sie zwiegespalten: „Ich kann mich da nicht auf eine Seite stellen, ich fand einerseits jahrelang die apartheidsähnliche Politik Israels erschreckend, und ich dachte immer, wir steuern da auf eine Katastrophe zu – andererseits aber war der Überfall der Hamas auf Israel grauenhaft und ist durch nichts zu rechtfertigen.“
Es sind diese inneren Konflikte, diese nicht mehr einfachen Antworten, die gegeben werden können, die den Ostermarsch zunehmend innerlich belasten, doch Jung-paarmann sieht genau das als Qualität an: „Wir müssen akzeptieren, dass es verschiedene Meinungen gibt, unsere Toleranz ist hier von entscheidender Bedeutung, das gilt heute mehr denn je.“
Das sieht auch Ole Heimbeck (SPD) so, für ihn ist der Ostermarsch mit all seiner Meinungsvielfalt „ein ganz wichtiges Korrektiv“. Er selbst frage sich, was geschehe, wenn der Krieg immer weitergehe. Fakt sei, dass Zehntausende Menschen zusätzlich sterben würden. „Ich weiß einfach nicht, was das Ziel eines Krieges ist, wie es enden kann, für mich gilt weiterhin, dass Krieg keine Lösung ist.“
Das wiederum sehen alle so beim Ostermarsch.