Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West

Dieser Verein holt junge Leute von der Straße

- Ivonne Michel

Ohne Ausbildung, ohne Wohnung und ohne Perspektiv­e beruflich Fuß fassen? Was das BAJ da leistet, ist einzigarti­g – und hilft der Stadt ungemein. Trotzdem muss der Verein um seine Existenz kämpfen.

Sie hat die Schule abgebroche­n, lebte auf der Straße und hat dann doch noch beruflich den Einstieg geschafft, als Fachkraft für Lagerlogis­tik – mit Auszeichnu­ng. Jasmin Jüchems (25) ist nicht die einzige, die dank des Vereins BAJ (Berufliche Ausbildung und Qualifizie­rung Jugendlich­er und Erwachsene­r) den Dreh gefunden hat. Dealen oder stehlen sei im schlimmste­n Fall für immer mehr Jugendlich­e aufgrund ihrer Lebensumst­ände die Alternativ­e, sagt Baj-geschäftsf­ührermarku­s Schäfer. Insgesamt rund 27.000 Bielefelde­rn habe der Verein mit Sitz auf dem ehemaligen Industrieg­elände „Dürkopp Tor 6“seit Gründung von 40 Jahren geholfen, trotz schwierige­r Voraussetz­ungen den Weg ins Berufslebe­n zu finden. Sozialhilf­eempfänger werden zu Einzahlern ins System

Bei ihm „hätte es definitiv auch komplett nach hinten losgehen können“, sagt „Skinny“, so sein Künstlerna­me in der Punkband, die aus dem Baj-projekt „Beatz4b“entstanden ist. Als er Job und Wohnung verlor, habe er „verdammt viel“auf dem Kesselbrin­k abgehangen, dort auch viel Unschönes miterlebt. Vielen fehle einfach die Perspektiv­e, ergänzt Bandmitgli­ed „Krätze“(22). Das Projekt sei da „ein Riesen-halt“, bestätigen­auchsänger„kili“(20) und Gitarrist „Halma“. Es bedeute ihnen „sehr, sehr viel“.

„Präventiv etwas zu tun, bevor etwas passiert, ist ganz wichtig“, sagt Schäfer. Wie beispielsw­eise mit den Projekten „Beatz4b“oder „Youschool“, die Jugendlich­en in verschiede­nen Stadtviert­eln Bielefelds mit besonderen Sport-, Video- oder Musikproje­kten noch mal auf eine andere Art motivieren, regelmäßig und verlässlic­h dranzublei­ben– mit

einem Ziel im Blick. „Neben Eigenveran­twortung und Verbindlic­hkeit erfahren sie dabei, wie sie durch ihrearbeit etwas für sich und andere erreichen können“, ergänzt Schäfer.

„Jugendlich­e, dienicht in die Normpassen, fallen durch Lücken im Bildungssy­stem, beziehenda­nnhilfenau­sdemsozial­systemoder werden garkrimine­ll“, sagt er. Diebrisanz des Themas haben auch Polizei und Sozialamt erkannt, mit vereinten Kräften wollen sie jetzt gegen die steigende Jugendkrim­inalität ankämpfen. „Wir schaffen es, da rund 600 junge Menschen pro Jahr aufzufange­n und zu reintegrie­ren“, sagt Schäfer. 90 Prozent der Azubis würden ihre Ausbildung bestehen, mehr als 75 Prozent imanschlus­s einen Job finden – und dann ins So

zialsystem einzahlen.

Auch die regionale Wirtschaft und das Handwerk profitiert­en von den gut qualifizie­rtenjugend­lichenundf­achkräften, die das BAJ in unterschie­dlichen Bereichen schult, teils auch zusammen mit den Betrieben. Das sei aber nur dank des großen Idealismus der rund 100Mitarbe­iter möglich, die Jugendlich­e und auch ältere Umschüler in den hauseigene­n Werkstätte­n ausbilden, auf insgesamt rund 12.000 Quadratmet­ern zu Fahrradmon­teuren, Friseuren, Metallbaue­rn, Malernoder in denbereich­en Lager/logistik, Verkauf, Bau/holz, Wirtschaft/verwaltung, Gesundheit/soziales oder Hotel- und Gastgewerb­e. Ein Meister würde anderswo deutlich mehr verdienen. Hinzu kämen die gestiegene­n Energiekos­ten.

Die Finanzieru­ng durch öffentlich­e Mittel würde immer schwierige­r, auch aufgrundde­r gestiegene­nenergieko­sten und des Wettbewerb­s mit anderen Anbietern von Qualifikat­ionsmaßnah­men, die von derqualitä­tabernicht vergleichb­arseien, ergänzt Brigitte Reckmann, ehrenamtli­che Vorstandsv­orsitzende des gemeinnütz­igen Vereins, den seinerzeit Vertreter aller Ratsfrakti­onenzusamm­enmit Gewerkscha­ften, Wirtschaft, Kirchen, Wohlfahrts­verbänden sowie Bildungsei­nrichtunge­n gegründet haben.

„Viele junge Menschen glauben nicht mehr an sich selbst“, sagt Schäfer. Da brauche es mehr als anonymes Onlinetrai­ning. Das BAJ-TEAM zeige ihnen mit viel Herzblut, dass es sich lohnt, sich anzustreng­en, zu lernen und etwas

zu leisten. Und vermittele das Gefühl, dass jeder etwas kann. Motivieren­de Ansätze zu finden für Menschen, die es unverschul­det eben nicht so leicht haben und kein behütetes Zuhause haben, und ihnen eine berufliche Perspektiv­e aufzuzeige­n ist die Mission. Ziel sei es, frühzeitig zu unterstütz­en, um den Weg in die Arbeitslos­igkeit zu ersparen.

Bandcoach Uli helfe nicht nur bei der Musikprodu­ktion, die immer profession­eller werde, berichtets­kinny.„wirkönnen mit ihm über alles reden.“Mit seiner Unterstütz­ung habe er wieder einen Job gefunden. Krätze will jetzt im BAJ eine Ausbildung zum Tischler machen. Weg von der Straße, rein ins Berufslebe­n. Etwas auf diebeine stellen, statt nur frustriert abzuhängen. Das fühle sich gut an.

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Foto: Ivonne Michel

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