Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West
Bielefelds Polizisten schlagen Alarm
Die Polizeipräsidentin fordert mehr Präsenz auf den Straßen. Viele Streifenbeamten wissen aber jetzt schon nicht mehr, wie sie die Mehrbelastungen schultern sollen. „Die Stimmung auf den Wachen ist so schlecht wie nie“, heißt es.
Bielefeld. Immer mehr Polizeieinsätze, deutlich mehr Demo-begleitungen in Zeiten weltweiter und nationaler Krisen, immer öfter zusätzliche Objektschutzaufgaben und Hilfen zur Selbsthilfe. Für die Beamten auf den Polizeiwachen und in den Streifenwagen ist die Mehrbelastung der vergangenen Jahre deutlich spürbar. Eine Entlastung scheint nicht in Sicht. So haben die jüngsten Ankündigungen von Polizeipräsidentin Sandra Müller-steinhauer, in der Innenstadt künftig mehr Präsenz zu zeigen, zu teils heftigen Reaktionen geführt.
„Wie sollen wir das denn auch noch schultern? Die Stimmung auf den Wachen ist jetzt schon so schlecht wie nie“, berichtet ein Streifenbeamter. Bei allem Idealismus fehle einfach das Personal für gute Polizeiarbeit. Ein Beamter, der namentlich ebenfalls nicht genannt werden möchte, spricht im Vergleich zu den vergangenen Jahren von etwa 30 fehlenden Beamten, je zwei in jeder der 15 Dienstgruppen in der Stadt. Zwar stelle das Land immer mehr Polizeianwärter ein, doch die Absolventen kämen später nur selten auf den Wachen an. Die Zahl der Abbrecher sei immer noch zu hoch, und diejenigen, die es schafften, landeten woanders. 30 fehlende Beamte, zweckentfremdete Kollegen
Ein Polizist meldet sich nach der Ankündigung der Polizeipräsidentin, künftig mehr Personal in der Innenstadt einsetzen zu wollen: „Um das zu schaffen, müssten wir uns zweiteilen.“Die 30 fehlenden Wachbeamten seien das eine. Aber durch neue Aufgabenverteilungen fehlten auch andere Beamte, die offiziell mitgezählt, aber praktisch zweckentfremdet würden. Beispiel „Einsatztrupp“: Er ist für die Bekämpfung der Straßenkriminalität zuständig. Ein Teil des Trupps werde vom Wachdienst gestellt, übernehme inzwischen aber fast nur noch klassische Kripoarbeit (Aufklärung, Observationen).
Das Polizeipräsidium kennt das Problem, sagt Sprecherin Katja Küster. Deshalb gelte Personalausstattung, Arbeitsabläufen und Arbeitsorganisation ein besonderes Augenmerk. Trotzdem habe sich die Zahl der vom Wachdienst und der Leitstelle wahrzunehmenden Einsätze im Vorjahr erneut erhöht. Dem versuche man durch Priorisierungen zu begegnen.
Offenbar kann der Dienstherr das Personal im Wachund Wechseldienst nicht so einfach aufstocken, wie es von der Landesregierung zuweilen vermittelt wird: „Die jährliche Personalzuweisung richtet sich danach, wie viele Planstellen unserer Behörde bei der landesweiten Verteilung zugesprochen werden“, sagt Küster. Die Planstellen der Bielefelder Polizei stiegen tatsächlich von 2017 bis 2021 von 1.259 auf 1.335 Stellen. „Doch auf den Wachen ist fast kein personeller Anstieg zu erkennen“, sagt Kai Detlefsen, Kreisverbandsvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft („DPOLG“), in Bielefeld.
Und das bei einer Einsatzsteigerung von 78 Prozent in den vergangenen Jahren. „Dieser hohe Arbeitsdruck drückt die Stimmung der Kollegen.“
Katja Küster erklärt: „Aus der Gesamtzahl der Planstellen mussten auch alle anderen Aufgaben bedient werden.“Das heißt, die Schaffung neuer oder die Stärkung bestehender Abteilungen waren nötig, um auf neue Anforderungen wie Cybercrime und Kinderpornografie reagieren zu können. Das mache die „Arbeitsverdichtung insbesondere im Wachdienst nachvollziehbar“.
Auch Patrick Altenhöner, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei Bielefeld (GDP), bezeichnet die Personalsituation als angespannt. „Viele Beamte hetzen von einem Einsatz zum nächsten. Sie leisten dabei viele Überstunden und müssen geplante freie Tage unterbrechen oder sogar entfallen lassen.“Die Überlastung habe Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen, betont Altenhöner. Ein Betroffener
formuliert so: „Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern fünf nach eins.“Gewerkschafter Detlefsen deutet an, wohin der Unmut dabei geht: „Viele Kollegenhabendasgefühl, dassman in Düsseldorf die uniformierten Kollegen aus den Augen verloren hat.“Detlefsen und Altenhöner betonen allerdings unisono, dass die Lage in den Kommissariaten auch nicht viel besser sei.
Die Führungskräfte des Polizeipräsidiums haben das Ziel, Organisation und Abläufe an Ressourcen- und Sicherheitslage bestmöglich anzupassen. Dies betreffe auch den Schwerpunkt„sicherheit inder Innenstadt“, heißt es. Die angestrebte Kooperationsvereinbarung mit der Stadt sei hierfür ein wichtiges Fundament, um die gemeinsame Präsenz von Polizei und Ordnungsamt zu stärken. Auf die Frage, wie das personell gehen soll, antwortet Küster ausweichend. Die Ausweitung sei untrennbar mit einem geplanten Neubau und dem Wegzug der Wache Ost vom Kesselbrink zu sehen.
Altenhöner (GDP) sieht die Versäumnisse vor allem in der Landespolitik. „Die niedrigen Einstellungszahlen von 2003 bis 2007 wirken sich noch heute auf die Personaldecke aus und können auch durch deutliche Erhöhung nur bedingt aufgefangen werden.“Er spricht mit Blick auf Bielefeld voneinerzwangsläufigenmangelverwaltung.
„Dpolg“-kollege Detlefsen fordert deshalb eine deutliche Steigerung der Attraktivität der Polizeiarbeit: „Dabei könnte ein Ende der 41-Stunden-woche, die seit 20 Jahren unverändert gültig ist, helfen. Dieses Arbeitszeitmodell passt nicht mehr in eine moderne Arbeitswelt.“Auch dass die Beamtenlange auf Schuhe oder Einsatzkleidung warten müssten, sei deprimierend. „Ich kann dem Straftäter ja nicht sagen, er darf meine Jacke erst nachdreijahrenzerreißen, weil ich erst dann Ersatz bekomme.“Detlefsen kennt Kollegen, die drauf und dran sind, sich privat neue Schuhe zu kaufen, weil ihre Dienstschuhe bereits Löcher haben.