Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost
Studierende stehen unter Druck
Viele Studierende haben zu kämpfen. Das zeigt sich auch in Bielefeld. Was die Gründe sind und wie die Hochschulen gegensteuern.
Bielefeld. Leistungsdruck, fehlende Perspektiven, hohe Erwartungen an sich selbst oder aus dem Umfeld: Vieles macht den Studierenden zu schaffen. Eine Folge: psychische Erkrankungen. Viele brauchen Beratung und Hilfe.
Ursel Sickendiek leitete die Zentrale Studienberatung der Universität. Sickendiek beobachtet steigenden Beratungsbedarf. 2022 hätten 549 Studierende Hilfe gesucht, es gab 2.500 Beratungsgespräche. Im Schnitt also fünf pro Person. Es wird mehr: „Wir haben dauerhaft eine hohe Nachfrage.“Aber: „Natürlich muss man berücksichtigen, dass auch die Studierendenzahl grundsätzlich ansteigt“, sagt sie.
Die Gründe, warum Studierende in die Beratungsstelle kommen, liegen laut Sickendiek einerseits in der Lebenssituation: „Bei vielen spielt Armut eine Rolle.
Sie haben zum Beispiel Sorge, dass ihr Bafög oder ihr Einkommen aufgrund steigender Lebenskosten nicht mehr ausreichen.“Hinzu kommen oft auch Belastungen innerhalb der Familie. „Einige pflegen Angehörige, haben Krankenfälle im nahen Umfeld, oder sie fühlen sich unter Druck gesetzt, weil die Eltern das Studium finanzieren.“
Zum anderen lägen die Gründe im Studium selbst. „Derleistungsdruck ist für viele immens; zum Beispiel in Fächern, in denen hohe Noten der Standard sind.“
Sickendiek weiter: „Aber es gibt auch Studierende, die in der Schule immer sehr gute Noten hatten und dann die ersten Bewertungenan derunierleben und niedergeschlagen sind.“
Auch der Blick auf die eigene Zukunft kann krank machen. „Wenn die Studierenden wissen, dass für den Einstieg ins Berufsleben oder auch die Umschreibung in ein Masterstudium gute Noten erforderlich sind, setzt sie das kontinuierlich unter Druck.“
Derwegzur Hilfe führt aber durch ein Nadelöhr: Schnell gibt es das Erstgespräch, dann aber gibt es Wartezeiten von bis zu vier Monaten für die Folgegespräche. „Wir helfen auch bei der Vermittlung von Therapieplätzen, das ist aber aufgrund des generellen Mangels schwierig“, sagt die Expertin. Und manchmal helfe ja auch schon das Erstgespräch.
Viele Studierende kommen in Eigeninitiative auf die Beratungsstelle zu, andere bekommen von Freunden der Ratschlag, sich Hilfe zu suchen. „Wir treten in der Regel erst dann ein, wenn das persönliche Umfeld schon nicht mehr helfen kann“, sagt Sickendiek.
Ein Mangel an Therapieplätzen erschwert die Situation
Elena Brestel-wigowski ist ebenfalls Studienberaterin, an der HSBI, der Hochschule Bielefeld. Auch sie beobachtet tendenziell steigenden Beratungsbedarf, ihre Wahrnehmung: „Zu uns kommen die Studierenden meistens eigeninitiativ.“
„Hauptsächlich erreichen uns die Anfragen per Mail“, sagt Brestel-wigowski weiter. „Da sind oft lange und persönliche Anschreiben dabei, in denen die Studierenden uns Privates anvertrauen.“
Die Gründe für eine Beratung sind ähnlich wie an der Uni. Trotz der verstärkten Praxisorientiertheit derhsbispielen für viele Zukunftsängste und auch die Finanzierung ihres Lebens eine Rolle. Und die HSBI hat ein Problem, dass es an der Uni so nicht gibt: Nach drei Prüfungsversuchen ist Schluss. „Das schafft gelegentlich Unsicherheiten.“
Hintergrund: Die Universität Bielefeld gehört zu den wenigen Hochschulen deutschlandweit, die die Begrenzung der Prüfungsversuche abgeschafft hat.
Beide Beraterinnen glauben nicht, dass die Probleme weniger werden. Der Andrang werde groß bleiben, aber: „Ich merke, dass die Studierenden immer mehr auch das Bedürfnis haben, sich gegenseitig zu unterstützen und Hilfe zu leisten“, sagt Brestel-wigowski.
Ursel Sickendiek relativiert aber auch: „Vielleicht kann manes so sagen: Mansollteanzeichen immer ernst nehmen, nicht jedes Herzrasen ist aber gleich eine Panikattacke. Darüber zu sprechen, kann manchmal schon enorm weiterhelfen.“
Beide betonen: Kommunikation ist fast immer spielentscheidend.