Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost
Streit um Waffen ist zu wenig
Deutschland streitet über den Fortgang der Krise, die der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine mitten nach Europa getragen hat. Das ist gut so. Erschreckend ist das Niveau, das manchekommentatoren innerhalb und außerhalb der Politik finden. Man kann nicht anders, man muss demkanzler zustimmen, wenn er dort von einer „ziemlich unerwachsenen“Diskussion spricht, wie er dies vor einem kleinen Kreis in Berlin getan hat, zu dem die BertelsmannStiftungamwochenbeginngeladen hatte.
Denn das ist sie, diese Debatte: Unerwachsen! Verdient hat sie sich dieses Urteil dadurch, dass sie die komplexe Lage, in die Putins Kriegsverbrechendieweltstürzt, aufden nationalen Streit um ein einzelnes Waffensystem reduziert. Verdient hat sie sich dieses Urteil auch durch lautsprecherische Positionierungen manches und mancher Verantwortlichen oder Oppositionellen, bei denen Zweifel aufkommen, ob der gesamte Sachzusammenhang erkannt, geschweige denn durchschaut wird. Schließlich erschwert sicher mancher egomane, emotionale Blick auf die Politik mit persönlichen Niederlagen den Blick auf den Verfassungsauftrag, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.
Es geht hier nicht nur um einen regionalen Konflikt. Tatsächlich stehen in der Ukraine zwei ganz unterschiedliche Antworten auf große Zukunftsfragen gegeneinander. Putins russische Lösung sucht sie in der Vergangenheit des 200 Jahre alten, gewaltsamen Nationalismus, der mit Gewalt und Tod nur eigene Interessen durchsetzt. Die westlichen Demokratien sehen die
Herausforderungen einer neuen Weltordnung – mit demnächst zehn statt acht Milliarden Menschen – in dem geordneten Interessenausgleich. Die Antworten des Wachstums, wie sie das angebliche „Wirtschaftswunder“in den 1950er Jahren gab, werden 2050 nicht mehr reichen. Sie werden auch nicht mehr nur auf der Nordhalbkugel gefunden.
Dieses Konzept einer neuen Ordnung wird in der Ukraine verteidigt. Um dies erfolgreich zu tun, müssen jene Staaten gewonnen werden, die aktuell noch an der Seite des Kremls stehen: China vor allem, aber auch Indien, Brasilien und Südafrika. Sie braucht man, um Putins verbrecherisches Wirken zu beenden. Taurus-raketen werden das nicht können. Dasräumensogar ihre – nachdenklicheren, weniger selbstgewissen – Fans ein.
Das aber ist die Aufgabe von Politik, nicht die Aufgabe des Militärs. Sie entscheidet auch, ob das Einfrieren kriegerischer Handlungen 10.000 Tote früher oder 10.000 Tote später geschieht, nicht Militärs. Darauf hat der Spd-fraktionsvorsitzende im Bundestag im Gespräch mit uns aufmerksam gemacht. Der Bundeskanzler fordert in dieser deutschen Krisen-debatte Besonnenheit. Zu Recht.
thomas seim@ ihr-kommentar.de
Titelseite