Neue Westfälische - Bad Oeynhausener Kurier
„Ein Boot vorm Bug ist für mich unsichtbar“
Beim Zusammenprall eines Binnenschiffs mit einem Sportboot kam auf dem Kanal ein Mann ums Leben. Kapitän Christian Niemann kennt heikle Situationen auf Wasserstraßen. Gründe seien oft mangelnde Erfahrungen der Hobbyskipper – und falsche Erwartungen.
Kreis Minden-lübbecke. Binnenschiffer Christian Niemann (47) ist ein Freund klarer Worte: „Als Auto legen Sie sich nicht freiwillig mit einem Lkw an, ich mit meinem Kahn nicht mit einem Tanker auf See.“Dennoch komme es immer wieder zu heiklen Situationen zwischen Hobbykapitänen und Binnenschiffen auf Wasserstraßen. „Sportboote und auch Wassersportler überschätzen sich oft“, ist Niemanns Erfahrung. Und dann werde es gefährlich, denn die großenschiffehabenriesigetote Winkel. Und schnell reagieren können sie nicht.
Der tragische Unfall auf dem Mittellandkanal, bei dem am 1. Mai ein Sportboot und ein Binnenschiff nahe des Hahler Hafens kollidierten und ein 70Jähriger starb, hat Niemann schwer betroffen gemacht. „Ein furchtbarer Unfall“, sagt der Windheimer, der rund 300 Tage im Jahr mit seinem Schiff auf Flüssen und Kanälen unterwegs ist und Schüttgut von Hafen zu Hafen transportiert. Gerade bringt er Steinmehl, das zur Keramikherstellung gebraucht wird, nach Magdeburg. Auf dem Rückweg transportiert er Splitt nach Oldenburg.
Schiffe zu steuern, ist für Christian Niemann Routine. Und genau da liege auch das Problem: „Wir Binnenschiffer haben viel Erfahrung, die Hobbykapitäne sind nur selten auf demwasser.einigenureinmal im Jahr.“Oft fehle es an ausreichender Ausbildung, manche seien mit Strömung und Windverhältnissen überfordert und würden so sich und andere gefährden. Ob es sich auch beim Unfall in Minden um einen solchen Fehler handelt, ist noch nicht geklärt. Die Wasserschutzpolizei ermittelt.
Der 47-jährige Niemann hat aber auch schon selbst erlebt, wie schnell Unfälle passieren können. In einer Schleuse in Münster legte vor ein paar Jahren ein Sportboot neben seinem Kahn an, die Besatzung habe es nicht fachmännisch festgemacht. „Ich habe sie darauf hingewiesen, dass mein Schraubenwasser sie bei der Ausfahrt ins Trudeln bringen kann.“Das ältere Ehepaar habe nicht auf ihn gehört.
Als Niemann dann aus der Schleuse fuhr, sei das Sportboot an die Mauer geschleudert worden, die Frau habe sich schwer am Bein verletzt, Finger wurden abgeklemmt. Drei Jahre wurde der Fall vor Gericht verhandelt. „Sie meinten, ich hätte das Unglück verursacht, am Ende wurde ich aber freigesprochen“. Dennoch habe ihm das gezeigt, wie schnell etwas passieren könne. „Und dann wird gesagt: Ihr macht das jeden Tag und müsst bei den Laien aufpassen. Aber wir können ja manchmal gar nicht groß reagieren.“
Wenn Niemann sein Binnenschiff plötzlich anhalten will, zum Beispiel, braucht er dafür mitunter Hunderte Meter. Das hängt immer ein bisschen von Strömung und Wind ab, und davon, ob das Schiff beladen ist. Und wenn sich ein Sport- oder Ruderboot direkt vor seinen Bug setze, sei es für ihn quasi unsichtbar. „Ich sehe weit vor mir Wasser und an den Seiten die Böschung. So kann ich mich orientieren. Aber der tote Winkel ist riesig.“
Falle dann zum Beispiel ein Motor beim vorausfahrenden Boot aus, habe er keine Chance, rechtzeitig zu bremsen, im Zweifel merke er es nicht mal. „Denn auf dem Radar sehe ich das Boot auch nicht.“Sehr kleineobjektewürdenoftgarnicht genügend Radiowellen für ein Signal zurückwerfen. Niemann hat deswegen Kameras rund um das Schiff angebracht. „Aber da ist ja auch die Frage, auf wie viele Bildschirme ich gleichzeitig gucken kann.“
Sowieso möchte Niemann für mehr Verständnis werben, zu oft würden falsche Schlüsse gezogen. „Wenn wir Binnenschiffer bei einem Unfall erst mal ein Stück weiterfahren und anlegen, werfen uns Laien oft Fahrerflucht vor.“Dabei sei es immer Abwägungssache, wie man als Kapitän handele. „Ich kann mitten auf dem Kanal nur kurz stoppen. Wenn ich aber anlege,mussichmanövrieren.“das mit einem Riesenkahn samt Schiffsschraube an einer Unfallstelle zu tun, bei der er nicht wisse, ob noch Menschen im Wasser seien – „das ist mir zu gefährlich.“Also fahre er ein Stück weiter und schaffe Platz. „Und später muss ich mich rechtfertigen.“
An Feiertagen mit gutem Wetter, wo besonders viel auf den Gewässern los ist, ist Christian Niemann deshalb besonders wachsam. „Ich habe schon alles erlebt“, sagt er. Schwimmer, die aufs Boot klettern wollen, Sportboote, die plötzlich die Fahrbahn kreuzen und Ruderboote direkt neben dem Kahn. „Da stehen mir dann die Haare zu Berge.“Zwar seien die kleinen Objekte im Wasser verpflichtet, den großen Kähnen auszuweichen, verlassen könne man sich darauf aber nie. „Wir müssen immer mit der Dummheit der anderen rechnen.“
Zumal, und das ärgert Christian Niemann besonders, oft niemand per Funk erreichbar sei. „Wenn ich eine gefährliche Situation sehe, versuche ich die anderen mit einem Hupsignal und einem Funkspruch zu warnen.“Nur würden Hobbykapitäne viel zu häufig gar nicht antworten.
Christian Niemann versucht es deshalb mit Aufklärung. Vor Jahren habe er bei einem Petershäger Kanuverein dafür geworben, mehr Abstand zu den Schiffen zu halten und Rettungswesten zu tragen. Und er wünscht sich eine bessere Ausbildung von Sportboot-kapitänen. „Wir Binnenschiffer müssen ab 60 Jahren regelmäßig Eignungstests machen.“Das sei auch bei Hobbykapitänen sinnvoll, ebenso wie Auffrischungen.