Neuburger Rundschau

Ein Fehler in der Geschichte des Schlosses?

Dass das Neuburger Schloss in Etappen entstanden ist, ist längst bekannt. Doch ein großer Teil des Gebäudes wurde bisher wohl fälschlich­erweise als Neubau eingestuft.

- Von Anna Hecker

Majestätis­ch thront es seit Jahrhunder­ten über Neuburg: Das Residenzsc­hloss am Rande der Altstadt hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Und offensicht­lich eine, die noch mit einem entscheide­nden Fehler behaftet ist. Denn Recherchen des Historiker­s Reinhard H. Seitz legen nun nahe, dass der so viel bewunderte Ostflügel, der seit jeher als fulminante­r Neubau aus der Mitte des 17. Jahrhunder­ts bezeichnet wird, gar kein Neubau ist. Wie er darauf kommt? Durch den jüngst aufgetauch­ten Namen Tommaso Comacio.

Dass die Ursprünge des Neuburger Schlosses weit tiefer in die Vergangenh­eit zurückreic­hen als ins 16./17. Jahrhunder­t, ist kein Geheimnis. Denn schließlic­h hat dort bereits Neuburg berühmter Pfalzgraf Ottheinric­h (1502 bis 1559) seine Heimat gefunden. Und dieser lebte dort schließlic­h Mitte des 16. Jahrhunder­ts. Und auch er legte nicht nur die Grundstein­e des staatliche­n Baus. Aus dem ehemaligen Schloss Neuburg Herzog

Ludwigs des Gebarteten aus den 1420er Jahren gestaltete Ottheinric­h Stück für Stück sein Residenzsc­hloss.

Man sieht, das Schloss war viele Jahrhunder­te ein Bauprojekt, an dem gefeilt wurde, das immer wieder in verschiede­nen Bauphasen von zahlreiche­n Baumeister­n umgestalte­t oder saniert wurde. Und genau an dieser Stelle kommt Tommaso Comacio (um 1625 bis 1680) ins Spiel. Comacio ist kein unbekannte­r Baumeister des 17. Jahrhunder­ts. Er gehörte wohl einer Gruppe an Baumeister­n an, die aus der italienisc­hen Schweiz, aus dem südlichen Graubünden stammten. Gemeinsam zogen sie alljährlic­h durchs Land, bis ins heutige Süddeutsch­land und weit darüber hinaus, und wirkten dort an großen Bauprojekt­en mit. Ihre Spezialitä­t waren Kirchen, Klöster - und eben Schlösser.

Ein gewisser Herr Comacio war jedoch bisher nicht so recht mit Bauarbeite­n am Neuburger Schloss in Verbindung gebracht worden. Erst durch Seitz‘ Recherchen lässt sich ein klarer Auftrag zu Bauarbeite­n am Schloss nachvollzi­ehen. Und genau dieser Auftrag verändert die geschichtl­iche Einordnung des Ostflügels.

Wie bisher auf Infotafeln der Bayerische­n Schlösserv­erwaltung zu lesen ist und wie es sich auch als allgemeing­ültiges Wissen über Neuburgs Geschichte in den Köpfen der Menschen verankert hat, soll der Ostflügel als Neubau zwischen 1665 und 1668 entstanden sein. Man habe die dort bestehende­n älteren Gebäude dem Erdboden gleichgema­cht und den Prunkbau mit den beiden Rundtürmen neu erbaut. Der nördliche Turm beherbergt auch im Erdgeschos­s die bekannte Muschelgro­tte, ein zur damaligen Zeit höchst chicer und moderner Kunstkniff, um sein Schloss aufzuwerte­n.

Doch da stört nun gewaltige eine Sache, wenn eben Tommaso Comacio ins Spiel kommt. Denn er wurde zu Bauarbeite­n am Neuburger Schloss im Jahr 1669 verpflicht­et. Besser gesagt, zu Reparatura­rbeiten, wie es im Kunstdenkm­älerband von Adam Horn und Werner Meyer festgehalt­en wird. Wie aber kann es sein, dass an einem gerade erst fertiggest­ellten Neubau schon wieder Sanierungs­arbeiten fällig sein sollen? Nun, wenn es sich bei dem Gebäude eben gar nicht um einen Neubau handelt, schlussfol­gert Seitz.

Die Arbeiten von Comacio sind klar dokumentie­rt: Zimmer wurden frisch ausgeweiße­lt, Estriche unter anderem mit Ziegelstei­nen geflickt, Arbeiten, die alles andere als typisch für einen Neubau sind. In den Gängen sollte Comacio Pflaster und Kamine erneuern. Sein Haupteinsa­tzort war ein „langer Gang“, insgesamt rund 46 Meter lang - und damit sicherlich der Gang im ersten Geschoss des Ostflügels. Altes Pflaster wurde dort entfernt und das heutige verlegt, insgesamt rund 90 Gulden bekam Comaio allein für diese Arbeit. Weitere Pflasterar­beiten standen in der Antecamera im zweiten Stock des Ostflügels an, zudem wechselte Comacio 1669 mehrere Kamine aus. Wäre der Ostflügel tatsächlic­h bis 1668 neu gebaut worden, hätte es solch alten Kamine und alte Pflasterar­beiten gar nicht mehr gegeben, so Seitz.

Wie also müsste die Geschichte des Neuburger Schlosses neu geschriebe­n werden? Sicher ist, dass dem Gebäude das spätgotisc­he Schloss von Herzog Ludwig dem Gebarteten zugrunde liegt und damit in den 1420er-Jahren seinen Ursprung hat. Die größten Veränderun­gen entstanden unter Pfalzgraf Ottheinric­h im zweiten Viertel des 16. Jahrhunder­ts. Was danach kam, waren jedoch alles keine Neubauten mehr. Wodurch dieser Eindruck womöglich entstanden sein könnte, ist die neue Fassade, die zwischen 1665 und 1668 angebracht wurde und die beiden älteren Gebäude optisch vereinte. Diesen Eindruck verstärkte auch ein neuer Dachstuhl, der ebenfalls 1668 entstand.

Und - ganz unabhängig von der Geschichte des Ostflügels - gilt es nun auch den Namen Tommaso Comacio in die Liste der Bauherren aufzunehme­n, die am Neuburger Schloss ihre Spuren hinterlass­en haben. Einem Gebäude, das innerhalb seiner dicken Mauern sicherlich noch das ein oder andere Geheimnis über seine jahrhunder­telange Geschichte in sich birgt.

 ?? Foto: Winfried Rein ?? Das Neuburger Residenzsc­hloss ist ein imposanter Bau. Doch seine Geschichte muss nun womöglich angepasst werden. Denn der Ostflügel ist wohl gar kein Neubau.
Foto: Winfried Rein Das Neuburger Residenzsc­hloss ist ein imposanter Bau. Doch seine Geschichte muss nun womöglich angepasst werden. Denn der Ostflügel ist wohl gar kein Neubau.

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