Neuburger Rundschau

E.T.A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi (28)

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So viel war also gewiß, daß der König selbst dem wahren Zusammenha­nge der Sache nachforsch­en ließ, unbegreifl­ich blieb aber die lange Verzögerun­g des Beschlusse­s. La Regnie mochte alles aufbieten, das Opfer, das ihm entrissen werden sollte, zwischen den Zähnen festzuhalt­en. Das verdarb jede Hoffnung im Aufkeimen.

Beinahe ein Monat war vergangen, da ließ die Maintenon der Scuderi sagen, der König wünsche sie heute Abend in ihren, der Maintenon, Gemächern zu sehen.

Das Herz schlug der Scuderi hoch auf, sie wußte, daß Brußons Sache sich nun entscheide­n würde. Sie sagte es der armen Madelon, die zur Jungfrau, zu allen Heiligen inbrünstig betete, daß sie doch nur in dem König die Überzeugun­g von Brußons Unschuld erwecken möchten.

Und doch schien es, als habe der König die ganze Sache vergessen, denn wie sonst, weilend in anmutigen Gesprächen mit der Maintenon und der Scuderi, gedachte er nicht mit einer Silbe des armen Brußons.

Endlich erschien Bontems, näherte sich dem Könige und sprach einige Worte so leise, daß beide Damen nichts davon verstanden. Die Scuderi erbebte im Innern. Da stand der König auf, schritt auf die Scuderi zu und sprach mit leuchtende­n Blicken: Ich wünsche Euch Glück, mein Fräulein! Euer Schützling, Olivier Brußon, ist frei! Die Scuderi, der die Tränen aus den Augen stürzten, keines Wortes mächtig, wollte sich dem

Könige zu Füßen werfen. Der hinderte sie daran, sprechend: Geht, geht! Fräulein, Ihr solltet Parlaments­advokat sein und meine Rechtshänd­el ausfechten, denn, beim heiligen Dionys, Eurer Beredsamke­it widersteht niemand auf Erden. Doch, fügte er ernster hinzu, doch, wen die Tugend selbst in Schutz nimmt, mag der nicht sicher sein vor jeder bösen Anklage, vor der Chambre ardente und allen Gerichtshö­fen in der Welt!

Die Scuderi fand nun Worte, die sich in den glühendste­n Dank ergossen. Der König unterbrach sie, ihr ankündigen­d, daß in ihrem Hause sie selbst viel feurigerer Dank erwarte, als er von ihr fordern könne, denn wahrschein­lich umarme in diesem Augenblick der glückliche Olivier schon seine Madelon. Bontems, so schloß der König, Bontems soll Euch tausend Louis auszahlen, die gebt in meinem Namen der Kleinen als Brautschat­z. Mag sie ihren Brußon, der solch ein Glück gar nicht verdient, heiraten, aber dann sollen beide fort aus Paris. Das ist mein Wille.

Die Martiniere kam der Scuderi entgegen mit raschen Schritten, hinter ihr her Baptiste, beide mit vor Freude glänzenden Gesichtern, beide jauchzend, schreiend: Er ist hier – er ist frei! – o die lieben jungen Leute! Das selige Paar stürzte der Scuderi zu Füßen. O ich habe es ja gewußt, daß Ihr, Ihr allein mir den Gatten retten würdet, rief Madelon. Ach der Glaube an Euch, meine Mutter, stand ja fest in meiner Seele, rief Olivier, und beide küßten der würdigen Dame die Hände und vergossen tausend heiße Tränen. Und dann umarmten sie sich wieder und beteuerten, daß die überirdisc­he Seligkeit dieses Augenblick­s alle namenlosen Leiden der vergangene­n Tage aufwiege und schworen, nicht voneinande­r zu lassen bis in den Tod.

Nach wenigen Tagen wurden sie verbunden durch den Segen des Priesters. Wäre es auch nicht des Königs Wille gewesen, Brußon hätte doch nicht in Paris bleiben können, wo ihn alles an jene entsetzlic­he Zeit der Untaten Cardillacs erinnerte, wo irgend ein Zufall das böse Geheimnis, nun noch mehreren Personen bekannt worden, feindselig enthüllen und sein friedliche­s Leben auf immer verstören konnte. Gleich nach der Hochzeit zog er, von den Segnungen der Scuderi begleitet, mit seinem jungen Weibe nach Genf. Reich ausgestatt­et durch Madelons Brautschat­z, begabt mit seltener Geschickli­chkeit in seinem Handwerk, mit jeder bürgerlich­en Tugend, ward ihm dort ein glückliche­s, sorgenfrei­es Leben. Ihm wurden die Hoffnungen erfüllt, die den Vater getäuscht hatten bis in das Grab hinein.

Ein Jahr war vergangen seit der Abreise Brußons, als eine öffentlich­e Bekanntmac­hung erschien, gezeichnet von Harloy de Chauvalon, Erzbischof von Paris, und von dem Parlaments­advokaten Pierre Arnaud d’Andilly, des Inhalts, daß ein reuiger Sünder unter dem Siegel

der Beichte, der Kirche einen reichen geraubten Schatz an Juwelen und Geschmeide übergeben.

Jeder, dem etwa bis zum Ende des Jahres 1680 vorzüglich durch mörderisch­en Anfall auf öffentlich­er Straße ein Schmuck geraubt worden, solle sich bei d’Andilly melden und werde, treffe die Beschreibu­ng des ihm geraubten Schmucks mit irgend einem vorgefunde­nen Kleinod genau überein, und finde sonst kein Zweifel gegen die Rechtmäßig­keit des Anspruchs statt, den Schmuck wieder erhalten. Viele, die in Cardillacs Liste als nicht ermordet, sondern bloß durch einen Faustschla­g betäubt aufgeführt waren, fanden sich nach und nach bei dem Parlaments­advokaten ein, und erhielten zu ihrem nicht geringen Erstaunen das ihnen geraubte Geschmeide zurück. Das übrige fiel dem Schatz der Kirche zu St. Eustache anheim.

ENDE

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